Wie geht es Ihnen? Was denken Sie? Wie blicken Sie auf die Gegenwart? Wie reagieren Sie auf den Klimanotstand? Sind Sie verzweifelt? Haben Sie Hoffnung?
Solchen Fragen wollen wir mit diesem Projekt auf den Grund gehen. Wie tickt Wien? Wie reagieren Menschen in dieser Stadt auf die Klimakrise? Jene, die hier zur Welt gekommen und aufgewachsen sind, und jene, die zum Leben und Arbeiten hierhergekommen sind? Was macht der permanente Nachrichtenstrom mit ihnen? Was denken sie angesichts von Extremwetterereignis-sen, Meeresspiegelanstieg und Bodenversiegelung? Welche Spuren hinterlässt das Wissen um Luftverschmutzung und Entwaldung, um das Absterben der Korallen-riffe und das Auftauen der Permafrostböden in unseren Köpfen?
Wo Demokratie auf Repräsentation baut, tun sich zwangsläufig Leerstellen auf. In solchen Repräsentationslücken gedeihen Gefühle von Entfremdung und Misstrauen besonders gut. Dieser Behauptung liegt eine einfache Rechnung zugrunde: Je kleinflächiger die Überschneidungen werden zwischen den Lebenswelten der Repräsentant:innen und denen, die sie repräsentieren sollten, desto größer das diesbezügliche Risiko. Das vorliegende Projekt ist ein Versuch, solche Repräsentations-lücken zu erkennen und sie produktiv zu füllen. Also etwa Menschen zu bitten, ihre Sicht der Dinge aufzuschreiben, zu erzählen, in den Diskurs einzubringen.
Seit rund 15 Jahren haben wir im Rahmen unseres Blinklicht Media Labs einiges Knowhow in der Ent-wicklung und Umsetzung von Beteiligungsprojekten (Stichwort: der von Pierre Rosanvallon geprägte Begriff „narrative Demokratie“) erworben. Dokumentiert ist dies u. a. in einer Reihe von Büchern („Geschichten der Gegenwart“). Darauf aufbauend haben wir „in Wien lebende oder mit der Stadt verbundene Menschen eingeladen, ihre persönlichen Geschichten, ihre Visionen, ihre Ideen, ihre Wünsche, ihre Vorstellungen, ihre Forderungen im Kontext der Klimakrise zu formulieren“ – mit dem Versprechen, diese Texte in einem Buch zu veröffentlichen, um sie in Diskussionen, Vorträgen, Workshops möglichst breit wirksam machen zu kön-nen. Als Referenz wurde bei den Einladungen jeweils auf die Geschichte von Eduard Suess und der I. Wiener Hochquellen leitung verwiesen.
Idealiter hätten wir natürlich alle in der Stadt leben-den Menschen einladen und um ihre Texte bitten müssen – die Klimakrise betrifft schließlich jede und jeden. Diesfalls aber mussten wir uns aus vielerlei Gründen nach der Decke strecken, also das umsetzen, was in unserer Reichweite lag. In einer ersten Phase haben rund 100 Schülerinnen und Schüler der BHAK/BHAS Wien 22 im Rahmen von Schreibworkshops Textskizzen zum Themenkomplex Wasser – Abwasser – Kanal – Klima beigesteuert. Darauf bauend wurden in der zweiten Phase individuell Erwachsene eingeladen, ausführlicher und möglichst mit Verweis auf ihren jeweiligen biografischen Hintergrund Texte im Umfang von etwa 10.000 Zeichen zu verfassen. Und zwar auf Basis folgender Einleitung:
„Klimakrise – was tun? Der amerikanische Human-geograf Anthony Leiserowitz hat einst versucht, der Welt den Klimawandel in fünf Sätzen zu erklären: ‚It’s real. It’s us. Experts agree. It’s bad. There’s hope.‘ Längst schon sprechen wir nicht mehr vom ‑wandel, sondern von der Klimakrise. Die fünf Sätze aber haben Bestand: Ja, die Klimakrise ist real. Der Mensch ist verantwortlich. Die Experten sind sich einig. Die Lage ist schlimm. Und es gibt Hoffnung: wir können etwas tun! Aber was?“
Genau davon handeln die in diesem Band versam-melten Texte. Zwei Dutzend Autorinnen und Autoren, die unserer Bitte um einen Textbeitrag gefolgt sind, konfrontieren uns mit ihrem jeweils sehr individuellen Blick auf die Klimakrise. Sie erzählen von ihrem Engagement, von ihrem Hoffen, ihrer Trauer, ihrer Zuversicht. Als Fundament darunter gelegt wurden drei Selektionen mit Textauszügen aus der in den Workshops entstandenen Materialfülle: Jugendliche reflektieren über die Themen Wasser, Kanal und Klimakrise, um im Anschluss Ant-worten auf die Kernfrage zu formulieren: Was tun?
„Allgemein kann jeder mithelfen“, schreibt etwa die 15-jährige Kerstin. Oder, in den Worten der Cellis-tin Stefanie Waegner: „Der Kern, das individuelle, unverwechselbare Mindset, die persönliche Note, das ‚Fantastische‘, das Großzügige – sie sind Schlüssel für positive Veränderungen, inspirierend, ermutigend.“ Dies ergänzend formuliert der Organisationsberater Claus Faber: „Selbstwirksamkeit ist kein individueller, sondern ein sozialer Prozess im Kontakt.“ Eine Überlegung, die ihn schließlich zur Gründung des Netzwerks #coaches-forfuture bewegte, welches die Klimabewegung ehrenamtlich berät.
Solche Verbindungen aufzuzeigen, Brücken zu schla-gen von einem Individuum zum anderen, von einem Ge-danken zum nächsten, von einer Idee zur Tat – das war eine der Zielvorgaben, die beim Entstehen des Buches im Blick bleiben sollte. Der Auseinandersetzung mit der Klimakrise, dem Kampf gegen die Ausbeutung und Zerstörung der Natur liegt schließlich immer auch der Ge-danke an den Menschen zugrunde. Nicht einfach abstrakt die Erde, sondern das Überleben der Menschheit steht im Zentrum des Nachdenkens: Wie können wir gute Lebensbedingungen für alle Menschen, also auch für die uns nachfolgenden, realisieren? Wasser, Kanalisation, Hygi-ene sind in diesem Kontext nicht nur essenzielle Faktoren für unser Leben; sie lassen sich handlungsleitend auch als unmittelbar wirksame Stellschrauben denken: etwas tun!
Zumal uns die Komplexität zu erdrücken droht. „Das Desaster“, schreibt der Philosoph Guillaume Paoli, „kann nämlich mit keiner Einzelfigur dargestellt werden, es ist niemals im Singular, sondern besteht aus einer Kaskade heterogener Ereignisse, die sich gegenseitig verstärken. Hitzezeit bedeutet nicht bloß Hitzezeit, sondern potenziell auch Dürre, Wasser- und Lebensmittelknappheit, Seuchen, Unterbrechung der Versorgungsketten, Hyperinfla-tion, Verteilungskonflikte, Krieg, Flucht, Vertreibung und noch einiges. Nicht nur verschlimmert der Klimawandel vorhandene Probleme, vorhandene Probleme verschlim-mern die Auswirkungen des Klimawandels.“3 Aus diesem Umstand resultiert naturgemäß auch ein Gefühl der Überforderung: dort ein Gigaproblem, hier mein Mini-me.
Diesem entmutigenden Draufblick entziehen sich die Texte hier mit ihrer sehr individuellen Tonalität, sie schaffen also Einblicke und benennen damit auch Hand-lungsmöglichkeiten. „Werdet euch eurer Wirkmächtigkeit bewusst“, hat die Architektin Monika Zacherl ihren Beitrag überschrieben. Denn auch das ließe sich aus der Wasser-Kanal-Klima-Trias ableiten: Ja, obwohl Dürren, Missernten, Seuchen, Elend und Tod globale Realität sind, müssen Lösungen immer auch lokal – Stichwort: Wiener Wasser! – gedacht werden.
Der japanische Bestseller-Autor und Öko-Marxist Kohei Saito, der mit seinem Buch „Systemsturz: Der Sieg der Natur über den Kapitalismus“ für Diskussionen sorgt, analysiert darin „die Verflechtung von Kapital, Natur und Gesellschaft“ und sieht in der Klimakrise einen potenziellen „Hebel“. Im Kontext der Klimagerechtigkeit dürften große und notwendige Reformen (etwa das Um-setzen von Infrastrukturmaßnahmen durch den Ausbau von Solarenergie und das Setzen von entsprechenden Konjunkturimpulsen) „nicht auf Kosten der Menschen im globalen Süden oder der natürlichen Umwelt gehen“. Ergo müsse „dem kapitalistischen Wirtschaftswachstum ein Ende gesetzt“ und an dessen Stelle ein „Degrowth-Kommunismus“ genanntes „Modell für eine gerechte Ge-sellschaft im Zeitalter der Klimakrise“ treten, das auf „gegenseitiger Hilfe und Selbstbestimmung basiert“.
Es gelte demnach unter anderem, Gemeingut in all jenen Bereichen zu schaffen, die essenziell sind für die grundlegenden Bedürfnisse der Menschen, also etwa Energie, Boden, Wasser. Dabei verweist Saito unter anderem auf das „Lauderdale-Paradox“: „Nimmt individu-eller Reichtum zu, nimmt öffentlicher Reichtum ab.“
Dass Wasser im Überfluss vorhanden ist, sei „nicht nur wünschenswert, sondern auch notwendig. In diesem Fall ist das Wasser auch kostenlos, ein öffentlicher Reich-tum also. Könnte man aber irgendwie Wasserknappheit herbeiführen, würde Wasser zu einer Ware mit einem Preis, worauf für jedermann kostenlos verfügbarer Wohl-stand verschwände“, führt Saito aus. Man könnte durch den Verkauf von Wasser in PET-Flaschen Geld erwirt-schaften, das aber bringe „eine Zunahme des individuellen Reichtums mit sich“. Wasser werde durch Privatisierung zu einem knappen Gut transformiert, ohne Geld sei es in der Folge also nicht mehr nutzbar. „Da es das Wasser als Common nicht mehr gibt, nehmen der individuelle Wasserzugang, Nachhaltigkeit sowie Wassersicherheit erheblichen Schaden.“
Ein Hinweis mehr darauf, welchen Wert das aus den Kalkalpen nach Wien fließende Wasser in Form öffentlichen Reichtums insbesondere in Zeiten der Klimakrise hat. Auch dies haben die Autorinnen und Autoren des nun vorliegenden Bandes im Blick. Wie auch den demokratiepolitischen Aspekt, auf den Saito in seinem Buch verweist: Weil auf Wahlen beruhende Politik „zwangs-läufig an ihre Grenzen“ stoße, sobald sie „mit der Macht des Kapitals konfrontiert“ sei, brauche es auch „Bürgerversammlungen“ und „soziale Bewegungen“, die „für eine Neuausrichtung der Politik sorgen und sich die Macht des Staates zunutze machen können, ohne in einen ‚Klima-Maoismus‘ zu verfallen“.
Dem folgend möge dieser Band als Werkzeug verstanden, also etwa in Versammlungen oder von Bewegungen genutzt werden, um Diskussionen anzuregen oder die-se um das eine oder andere Argument oder zusätzliche Aspekte zu erweitern. Es untergrabe die Demokratie, wenn die leisen Stimmen ungehört bleiben, wenn es keine Anerkennung für jene Initiativen gebe, die abseits des Schein-werferlichts stattfinden, schreibt der Demokratieforscher Pierre Rosanvallon. Weil gute Klimapolitik immer auch Sozialpolitik sein muss, ist sie darauf angewiesen, ihre Klientel und deren Lebensverhältnisse zu kennen, zu ver-stehen. Neben vielem anderen (Pandemien, Kriege etc.) lastet gerade auch die Klimakrise als Bedrohung auf unser aller Existenzen. Die in Form und Ausprägung sehr diver-sen Klimaproteste sind der sichtbar gewordene Ausdruck davon. Insofern sind sowohl die Klimabewegung als auch die sich in ihr engagierenden Individuen für das Funktionieren, den Bestand und die Weiterentwicklung unserer Demokratie essenziell. Ihnen sei dieses Buch gewidmet.