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Freitag, 17. Mai 2024

Was tun?

Ein Experiment in narrativer Demokratie. Auszug aus der Einleitung zum Klima-Buch.
Zuletzt geändert am 17. Mai 2024
Why be an artist when you can be an ecologist?
Foto: ©Ernst Schmiederer

Wie geht es Ihnen? Was den­ken Sie? Wie bli­cken Sie auf die Gegen­wart? Wie reagie­ren Sie auf den Kli­ma­not­stand? Sind Sie ver­zwei­felt? Haben Sie Hoffnung? 

Sol­chen Fra­gen wol­len wir mit die­sem Pro­jekt auf den Grund gehen. Wie tickt Wien? Wie reagie­ren Men­schen in die­ser Stadt auf die Kli­ma­kri­se? Jene, die hier zur Welt gekom­men und auf­ge­wach­sen sind, und jene, die zum Leben und Arbei­ten hier­her­ge­kom­men sind? Was macht der per­ma­nen­te Nach­rich­ten­strom mit ihnen? Was den­ken sie ange­sichts von Extrem­wet­ter­er­eig­nis-sen, Mee­res­spie­gel­an­stieg und Boden­ver­sie­ge­lung? Wel­che Spu­ren hin­ter­lässt das Wis­sen um Luft­ver­schmut­zung und Ent­wal­dung, um das Abster­ben der Koral­len-rif­fe und das Auf­tau­en der Per­ma­f­rost­bö­den in unse­ren Köpfen? 

Wo Demo­kra­tie auf Reprä­sen­ta­ti­on baut, tun sich zwangs­läufig Leer­stel­len auf. In sol­chen Reprä­sen­ta­ti­ons­lü­cken gedei­hen Gefüh­le von Ent­frem­dung und Miss­trau­en beson­ders gut. Die­ser Behaup­tung liegt eine ein­fa­che Rech­nung zugrun­de: Je kleinflä­chi­ger die Über­schnei­dun­gen wer­den zwi­schen den Lebens­wel­ten der Repräsentant:innen und denen, die sie reprä­sen­tie­ren soll­ten, des­to grö­ßer das dies­be­züg­li­che Risi­ko. Das vor­lie­gen­de Pro­jekt ist ein Ver­such, sol­che Reprä­sen­ta­ti­ons-lücken zu erken­nen und sie pro­duk­tiv zu fül­len. Also etwa Men­schen zu bit­ten, ihre Sicht der Din­ge auf­zu­schrei­ben, zu erzäh­len, in den Dis­kurs einzubringen. 

Seit rund 15 Jah­ren haben wir im Rah­men unse­res Blink­licht Media Labs eini­ges Know­how in der Ent-wick­lung und Umset­zung von Betei­li­gungs­pro­jek­ten (Stich­wort: der von Pierre Rosan­vallon gepräg­te Begriff „nar­ra­ti­ve Demo­kra­tie“) erwor­ben. Doku­men­tiert ist dies u. a. in einer Rei­he von Büchern („Geschich­ten der Gegen­wart“). Dar­auf auf­bau­end haben wir „in Wien leben­de oder mit der Stadt ver­bun­de­ne Men­schen ein­ge­la­den, ihre per­sön­li­chen Geschich­ten, ihre Visio­nen, ihre Ideen, ihre Wün­sche, ihre Vor­stel­lun­gen, ihre For­de­run­gen im Kon­text der Kli­ma­kri­se zu for­mu­lie­ren“ – mit dem Ver­spre­chen, die­se Tex­te in einem Buch zu ver­öf­fent­li­chen, um sie in Dis­kus­sio­nen, Vor­trä­gen, Work­shops mög­lichst breit wirk­sam machen zu kön-nen. Als Refe­renz wur­de bei den Ein­la­dun­gen jeweils auf die Geschich­te von Edu­ard Suess und der I. Wie­ner Hoch­quel­len lei­tung verwiesen. 

Idea­li­ter hät­ten wir natür­lich alle in der Stadt leben-den Men­schen ein­la­den und um ihre Tex­te bit­ten müs­sen – die Kli­ma­kri­se betrifft schließ­lich jede und jeden. Dies­falls aber muss­ten wir uns aus vie­ler­lei Grün­den nach der Decke stre­cken, also das umset­zen, was in unse­rer Reich­wei­te lag. In einer ers­ten Pha­se haben rund 100 Schü­le­rin­nen und Schü­ler der BHAK/BHAS Wien 22 im Rah­men von Schreib­work­shops Text­skiz­zen zum The­men­kom­plex Was­ser – Abwas­ser – Kanal – Kli­ma bei­gesteu­ert. Dar­auf bau­end wur­den in der zwei­ten Pha­se indi­vi­du­ell Erwach­se­ne ein­ge­la­den, aus­führ­li­cher und mög­lichst mit Ver­weis auf ihren jewei­li­gen bio­grafi­schen Hin­ter­grund Tex­te im Umfang von etwa 10.000 Zei­chen zu ver­fas­sen. Und zwar auf Basis fol­gen­der Einleitung:

„Kli­ma­kri­se – was tun? Der ame­ri­ka­ni­sche Human-geo­graf Antho­ny Lei­se­ro­witz hat einst ver­sucht, der Welt den Kli­ma­wan­del in fünf Sät­zen zu erklä­ren: ‚It’s real. It’s us. Experts agree. It’s bad. There’s hope.‘ Längst schon spre­chen wir nicht mehr vom ‑wan­del, son­dern von der Kli­ma­kri­se. Die fünf Sät­ze aber haben Bestand: Ja, die Kli­ma­kri­se ist real. Der Mensch ist ver­ant­wort­lich. Die Exper­ten sind sich einig. Die Lage ist schlimm. Und es gibt Hoff­nung: wir kön­nen etwas tun! Aber was?“

Genau davon han­deln die in die­sem Band ver­sam-mel­ten Tex­te. Zwei Dut­zend Autorin­nen und Autoren, die unse­rer Bit­te um einen Text­bei­trag gefolgt sind, kon­fron­tie­ren uns mit ihrem jeweils sehr indi­vi­du­el­len Blick auf die Kli­ma­kri­se. Sie erzäh­len von ihrem Enga­ge­ment, von ihrem Hof­fen, ihrer Trau­er, ihrer Zuver­sicht. Als Fun­da­ment dar­un­ter gelegt wur­den drei Selek­tio­nen mit Text­aus­zü­gen aus der in den Work­shops ent­stan­de­nen Mate­ri­al­fül­le: Jugend­li­che reflek­tie­ren über die The­men Was­ser, Kanal und Kli­ma­kri­se, um im Anschluss Ant-wor­ten auf die Kern­fra­ge zu for­mu­lie­ren: Was tun? 

„All­ge­mein kann jeder mit­hel­fen“, schreibt etwa die 15-jäh­ri­ge Kers­tin. Oder, in den Wor­ten der Cel­lis-tin Ste­fa­nie Wae­g­ner: „Der Kern, das indi­vi­du­el­le, unver­wech­sel­ba­re Mind­set, die per­sön­li­che Note, das ‚Fan­tas­ti­sche‘, das Groß­zü­gi­ge – sie sind Schlüs­sel für posi­ti­ve Ver­än­de­run­gen, inspi­rie­rend, ermu­ti­gend.“ Dies ergän­zend for­mu­liert der Orga­ni­sa­ti­ons­be­ra­ter Claus Faber: „Selbst­wirk­sam­keit ist kein indi­vi­du­el­ler, son­dern ein sozia­ler Pro­zess im Kon­takt.“ Eine Über­le­gung, die ihn schließ­lich zur Grün­dung des Netz­werks #coa­ches-for­fu­ture beweg­te, wel­ches die Kli­ma­be­we­gung ehren­amt­lich berät. 

Sol­che Ver­bin­dun­gen auf­zu­zei­gen, Brü­cken zu schla-gen von einem Indi­vi­du­um zum ande­ren, von einem Ge-dan­ken zum nächs­ten, von einer Idee zur Tat – das war eine der Ziel­vor­ga­ben, die beim Ent­ste­hen des Buches im Blick blei­ben soll­te. Der Aus­ein­an­der­set­zung mit der Kli­ma­kri­se, dem Kampf gegen die Aus­beu­tung und Zer­stö­rung der Natur liegt schließ­lich immer auch der Ge-dan­ke an den Men­schen zugrun­de. Nicht ein­fach abs­trakt die Erde, son­dern das Über­le­ben der Mensch­heit steht im Zen­trum des Nach­den­kens: Wie kön­nen wir gute Lebens­be­din­gun­gen für alle Men­schen, also auch für die uns nach­fol­gen­den, rea­li­sie­ren? Was­ser, Kana­li­sa­ti­on, Hygi-ene sind in die­sem Kon­text nicht nur essen­zi­el­le Fak­to­ren für unser Leben; sie las­sen sich hand­lungs­lei­tend auch als unmit­tel­bar wirk­sa­me Stell­schrau­ben den­ken: etwas tun!

Zumal uns die Kom­ple­xi­tät zu erdrü­cken droht. „Das Desas­ter“, schreibt der Phi­lo­soph Guil­laume Pao­li, „kann näm­lich mit kei­ner Ein­zelfi­gur dar­ge­stellt wer­den, es ist nie­mals im Sin­gu­lar, son­dern besteht aus einer Kas­ka­de hete­ro­ge­ner Ereig­nis­se, die sich gegen­sei­tig ver­stär­ken. Hit­ze­zeit bedeu­tet nicht bloß Hit­ze­zeit, son­dern poten­zi­ell auch Dür­re, Was­ser- und Lebens­mit­tel­knapp­heit, Seu­chen, Unter­bre­chung der Ver­sor­gungs­ket­ten, Hyperinfla-tion, Ver­tei­lungs­kon­flik­te, Krieg, Flucht, Ver­trei­bung und noch eini­ges. Nicht nur ver­schlim­mert der Kli­ma­wan­del vor­han­de­ne Pro­ble­me, vor­han­de­ne Pro­ble­me ver­schlim-mern die Aus­wir­kun­gen des Klimawandels.“3 Aus die­sem Umstand resul­tiert natur­ge­mäß auch ein Gefühl der Über­for­de­rung: dort ein Giga­pro­blem, hier mein Mini-me. 

Die­sem ent­mu­ti­gen­den Drauf­blick ent­zie­hen sich die Tex­te hier mit ihrer sehr indi­vi­du­el­len Tona­li­tät, sie schaf­fen also Ein­bli­cke und benen­nen damit auch Hand-lungs­mög­lich­kei­ten. „Wer­det euch eurer Wirk­mäch­tig­keit bewusst“, hat die Archi­tek­tin Moni­ka Zach­erl ihren Bei­trag über­schrie­ben. Denn auch das lie­ße sich aus der Was­ser-Kanal-Kli­ma-Tri­as ablei­ten: Ja, obwohl Dür­ren, Miss­ern­ten, Seu­chen, Elend und Tod glo­ba­le Rea­li­tät sind, müs­sen Lösun­gen immer auch lokal – Stich­wort: Wie­ner Was­ser! – gedacht werden.

Der japa­ni­sche Best­sel­ler-Autor und Öko-Mar­xist Kohei Sai­to, der mit sei­nem Buch „Sys­tem­sturz: Der Sieg der Natur über den Kapi­ta­lis­mus“ für Dis­kus­sio­nen sorgt, ana­ly­siert dar­in „die Ver­flech­tung von Kapi­tal, Natur und Gesell­schaft“ und sieht in der Kli­ma­kri­se einen poten­zi­el­len „Hebel“. Im Kon­text der Kli­ma­ge­rech­tig­keit dürf­ten gro­ße und not­wen­di­ge Refor­men (etwa das Um-set­zen von Infra­struk­tur­maß­nah­men durch den Aus­bau von Solar­ener­gie und das Set­zen von ent­spre­chen­den Kon­junk­tur­im­pul­sen) „nicht auf Kos­ten der Men­schen im glo­ba­len Süden oder der natür­li­chen Umwelt gehen“. Ergo müs­se „dem kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schafts­wachs­tum ein Ende gesetzt“ und an des­sen Stel­le ein „Degrowth-Kom­mu­nis­mus“ genann­tes „Modell für eine gerech­te Ge-sell­schaft im Zeit­al­ter der Kli­ma­kri­se“ tre­ten, das auf „gegen­sei­ti­ger Hil­fe und Selbst­be­stim­mung basiert“. 

Es gel­te dem­nach unter ande­rem, Gemein­gut in all jenen Berei­chen zu schaf­fen, die essen­zi­ell sind für die grund­le­gen­den Bedürf­nis­se der Men­schen, also etwa Ener­gie, Boden, Was­ser. Dabei ver­weist Sai­to unter ande­rem auf das „Lau­derd­a­le-Para­dox“: „Nimmt indi­vi­du-eller Reich­tum zu, nimmt öffent­li­cher Reich­tum ab.“

Dass Was­ser im Über­fluss vor­han­den ist, sei „nicht nur wün­schens­wert, son­dern auch not­wen­dig. In die­sem Fall ist das Was­ser auch kos­ten­los, ein öffent­li­cher Reich-tum also. Könn­te man aber irgend­wie Was­ser­knapp­heit her­bei­füh­ren, wür­de Was­ser zu einer Ware mit einem Preis, wor­auf für jeder­mann kos­ten­los ver­füg­ba­rer Wohl-stand ver­schwän­de“, führt Sai­to aus. Man könn­te durch den Ver­kauf von Was­ser in PET-Fla­schen Geld erwirt-schaf­ten, das aber brin­ge „eine Zunah­me des indi­vi­du­el­len Reich­tums mit sich“. Was­ser wer­de durch Pri­va­ti­sie­rung zu einem knap­pen Gut trans­for­miert, ohne Geld sei es in der Fol­ge also nicht mehr nutz­bar. „Da es das Was­ser als Com­mon nicht mehr gibt, neh­men der indi­vi­du­el­le Was­ser­zu­gang, Nach­hal­tig­keit sowie Was­ser­si­cher­heit erheb­li­chen Schaden.“

Ein Hin­weis mehr dar­auf, wel­chen Wert das aus den Kalk­al­pen nach Wien flie­ßen­de Was­ser in Form öffent­li­chen Reich­tums ins­be­son­de­re in Zei­ten der Kli­ma­kri­se hat. Auch dies haben die Autorin­nen und Autoren des nun vor­lie­gen­den Ban­des im Blick. Wie auch den demo­kra­tie­po­li­ti­schen Aspekt, auf den Sai­to in sei­nem Buch ver­weist: Weil auf Wah­len beru­hen­de Poli­tik „zwangs-läufig an ihre Gren­zen“ sto­ße, sobald sie „mit der Macht des Kapi­tals kon­fron­tiert“ sei, brau­che es auch „Bür­ger­ver­samm­lun­gen“ und „sozia­le Bewe­gun­gen“, die „für eine Neu­aus­rich­tung der Poli­tik sor­gen und sich die Macht des Staa­tes zunut­ze machen kön­nen, ohne in einen ‚Kli­ma-Mao­is­mus‘ zu verfallen“. 

Dem fol­gend möge die­ser Band als Werk­zeug ver­stan­den, also etwa in Ver­samm­lun­gen oder von Bewe­gun­gen genutzt wer­den, um Dis­kus­sio­nen anzu­re­gen oder die-se um das eine oder ande­re Argu­ment oder zusätz­li­che Aspek­te zu erwei­tern. Es unter­gra­be die Demo­kra­tie, wenn die lei­sen Stim­men unge­hört blei­ben, wenn es kei­ne Aner­ken­nung für jene Initia­ti­ven gebe, die abseits des Schein-wer­fer­lichts stat­tfin­den, schreibt der Demo­kra­tie­for­scher Pierre Rosan­vallon. Weil gute Kli­ma­po­li­tik immer auch Sozi­al­po­li­tik sein muss, ist sie dar­auf ange­wie­sen, ihre Kli­en­tel und deren Lebens­ver­hält­nis­se zu ken­nen, zu ver-ste­hen. Neben vie­lem ande­ren (Pan­de­mien, Krie­ge etc.) las­tet gera­de auch die Kli­ma­kri­se als Bedro­hung auf unser aller Exis­ten­zen. Die in Form und Aus­prä­gung sehr diver-sen Kli­ma­pro­tes­te sind der sicht­bar gewor­de­ne Aus­druck davon. Inso­fern sind sowohl die Kli­ma­be­we­gung als auch die sich in ihr enga­gie­ren­den Indi­vi­du­en für das Funk­tio­nie­ren, den Bestand und die Wei­ter­ent­wick­lung unse­rer Demo­kra­tie essen­zi­ell. Ihnen sei die­ses Buch gewidmet.

IN: Etwas tun fürs Kli­ma. Die vie­len Stim­men einer Stadt. Wien 2024
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