Es ist viel Zeit vergangen, bis ich wirklich wusste, was ich machen will. Dann kamen einige große Rückschläge. Und jetzt ergreife ich gerade meine zweite große Chance.
Seit sechs Jahren lebe ich mit meinem Mann Aron und unseren beiden Töchtern, Sofi und Anna, in Pirkenreith, im Vierkanthof der Schwiegereltern. Wir haben das Haus auf unsere Bedürfnisse hin adaptiert und das Leben so organisiert, dass es für uns gut passt. Was anderen Menschen vermutlich sehr unregelmäßig erscheint, fühlt sich für uns an wie ein Tetris-Spiel: man schaut einfach immer, wo die Steine gerade hinpassen. Zwei Nachmittage in der Woche bin ich die Hobby-Mama und chauffiere die Kinder zum Tanzen, zum Fußballspielen, wohin immer sie müssen. An den anderen Tagen sind Aron oder seine Mutter dran. Drei Nachmittage habe ich für das Unterrichten reserviert. Im Musikschulverband pendle ich als Lehrerin nach Rappottenstein, Altmelon, Abesbach, Langschlag und Großgerungs. Außerdem gebe ich Einzelunterricht in Pop- und Jazzgesang. An den Vormittagen arbeite ich künstlerisch oder kümmere mich um Organisatorisches für unsere Band Satuo und unseren Verein TRA-Kulturlogistik.
Dass wir mit Satuo im Juni unser neues, das vierte Album herausbringen, grenzt für mich an ein Wunder. Ich kann es noch gar nicht fassen. Ich bin in Turku geboren, habe die ersten Lebensjahre in Liverpool verbracht, bin in Helsinki aufgewachsen. Musik und Tanz waren immer wichtig für mich. Ich habe in einem Show- und Musical-Chor gesungen, habe Geige gespielt, Klavier gelernt und in der Schule immer die Solos bekommen. Ich war begabt und am besten Weg zu einer Karriere im Pop-Geschäft. Im Matura-Jahr kamen unerklärliche Schmerzen dazwischen. Irgendwann wurde eine Autoimmunkrankheit diagnostiziert, die ich nach vielen Experimenten heute mit guten Medikamenten im Griff habe. Der Traum vom Tanz war damit aber ausgeträumt.
Um einen neuen Weg zu finden, habe ich in Helsinki Musikwissenschaft, Pop und Jazz Gesangspädagogik und ein Jahr an der Sibelius-Akademie Jazz-Gesang studiert. 2009 kam ich mit Erasmus nach Wien, um bei Ines Reiger an der Musik-Uni meine Ausbildung fortzusetzen. Vom ersten Tag an war ich begeistert – und hatte nach zwei Monaten den ersten Hörsturz meines Lebens. Die nächsten neun Jahre lebte ich mit Hörstürzen, Kortison-Behandlungen und Operationen. Und trotzdem habe ich mein Studium abgeschlossen, mit meinem Mann unsere Band gegründet, die Kinder bekommen, das Waldviertel zum Lebensmittelpunkt gemacht. Doch die Angst, mein Gehör eines Tages ganz zu verlieren, war immer präsent. Im November 2018 war es soweit: nach einem weiteren Hörsturz und einer schweren Sepsis war ich völlig taub. Ich konnte nicht mehr singen.
Ja, und jetzt das neue Album: Somewhere in the Maze. Meine zweite Chance! Mir wurden Cochlea-Implantate eingesetzt. Ich war hartnäckig und hatte keine Ahnung, wie schwer das werden wird. Zwei Jahre war ich im Krankenstand. Ich musste bei Null anfangen, Schritt für Schritt wieder singen lernen. Ich bin angeblich weltweit die erste Sängerin, die es mit Implantaten zurück auf die Bühne schafft – heuer im Sommer wieder beim Schrammelklang Festival in Litschau. Heute bin ich eine komplett andere Sängerin und habe damit die Chance, ohne Kompromisse die Musik zu machen, die ich liebe. Unsere Band ist sehr divers, wir sind sechs sehr unterschiedliche Musiker*innen, bewegen uns cross-over in alle möglichen Richtungen und haben jetzt ein entsprechend kunterbuntes Album geschaffen. Wichtig ist mir, dass ich immer auch meine Geschichte mitbringe: ich singe und arrangiere finnische Musik, Volks‑, Kinder- und Wiegenlieder, aber auch Tangos. Ich bin eine stolze Finnin und seit ich Mutter geworden bin, ist meine Herkunft noch wichtiger. Meine Töchter sollen wissen, woher auch sie kommen. Durch die Musik sind meine Vorfahren und ein Stück Finnland immer bei mir.
Aufgezeichnet von Ernst Schmiederer