Das Wiener Blinklicht Media Lab sammelt und publiziert seit vielen Jahren autobiografische Skizzen von Männern und Frauen, von Jungen und Alten, von Schülerinnen und Lehrern, von Inländern und Ausländern, von Daheimgebliebenen und von Weitgereisten, von Freunden und Bekannten, von Nachbarn und Fremden. Vergangenen Donnerstag, am 8. Juni 2017, standen geflüchtete Menschen mit ihren Erzählungen im Zentrum eines wunderbaren Abends in der Hauptbücherei Wien.
Rechtsextreme und Populisten, darunter auch Politiker der gescheiterten Regierungskoalition, engagieren sich in der Inszenierung einer „Flüchtlingskrise“. Sie machen ihrer Heimat beraubte, geschwächte, entrechtete Menschen zu Sündenböcken, anstatt diese zu unterstützen und die Institutionen unserer Demokratie zu stärken. Sehr viele Frauen und Männer in diesem Land zeigen aber auch, dass es anders geht: sie informieren sich, sie engagieren sich, sie setzen sich für diese nun in Österreich lebenden Menschen ein. Auch ihnen will das Blinklicht Media Lab mit seiner Arbeit den Rücken stärken.
„Wenn man den Menschen das Wort gibt, sie sichtbar macht, hilft man ihnen in Wahrheit dabei, sich zu mobilisieren, der bestehenden Ordnung zu trotzen und ihr Leben besser zu führen. Man ermächtigt sie auch, ihr Leben in einer sinnstiftenden Erzählung zusammenzufassen und sich so in eine kollektive Geschichte einzufügen“, schreibt der französische Sozialhistoriker Pierre Rosanvallon in seinem Manifest „Das Parlament der Unsichtbaren“.
Genau das tun wir im Blinklicht Media Lab seit 2011, etwa im Rahmen unseres Projekts WIR. BERICHTE AUS DEM NEUEN OE. Mit der Unterstützung von sehr vielen Lehrerinnen und Lehrern haben wir im ganzen Land bisher an die 3.000 autobiografische Berichte von Jugendlichen gesammelt. Ein guter Teil davon wurde in bislang neun Bänden der edition IMPORT/EXPORT publiziert. Zurzeit sind zwei weitere Bände in Arbeit – mit „Berichten aus Stadt und Land Salzburg“ sowie mit „Berichten aus Favoriten“. Selbstverständlich sind all diese Bücher heute in den wichtigsten Bibliotheken des Landes präsent: in der Hauptbücherei Wien sowie in den Filialbüchereien in der ganzen Stadt, in der Nationalbibliothek, in der Universitätsbibliothek sowie in der Wienbibliothek im Rathaus. Denn genau darum geht es: ganz gewöhnliches Leben, ganz alltägliche Lebenserfahrungen, etwa Lebensberichte von Menschen, die sowohl im Politikbetrieb als auch ganz generell in der Öffentlichkeit kaum vorkommen, in das kulturelle Gedächtnis, in das kollektive Bewusstsein des Landes einzuschreiben.
“Es untergräbt die Demokratie, wenn die vielen leisen Stimmen ungehört bleiben, die ganz gewöhnlichen Existenzen vernachlässigt und die scheinbar banalen Lebensläufe missachtet werden, wenn es keine Anerkennung für jene Initiativen gibt, die abseits des Scheinwerferlichts stattfinden“, schreibt Rosanvallon in seinem Manifest – und entwirft damit einen gangbaren Weg: leise Stimmen lauter machen, Scheinwerferlicht für Institutionen wie das Jugendcollege der Stadt Wien, das connect-Programm der Kinderfreunde oder das Haus Liebhartstal, in dem der Arbeiter-Samariter-Bund seit zwei Jahren 60 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge betreut.
In diesem Sinne bedanken wir uns herzlich bei einem wunderbaren Publikum – stellvertretend für alle sei hier unser aus Syrien stammender Freund Jamal Rajeh genannt, der mit seiner Familie am Vorabend seines Geburtstags zu uns gekommen ist – sowie bei all jenen Freunden und Freundinnen, die das Scheinwerferlicht nicht gescheut haben. Also etwa bei Ines Hofbauer und ihren Schülern aus dem Jugendcollege:
Wir bedanken uns bei Petra Boogman und Magdalena Leikermoser aus BHAK 22 der Wiener Polgarstraße, die nun schon im zweiten Jahr eine wunderbare „Brückenklasse“ unterrichten. Bei Miriam Vicovan, die uns in ihrer Geschichte von der Flucht ihrer Familie erzählt hat. Bei Farzaneh Vahedmonfared, die Texte des Fluchthelfers Götz Schrage vorgetragen hat. Bei Susanne Scholl und Ehsan Batori, die über Afghanistan, das Schubhaftunwesen und die besonders bedrohte Volksgruppe der Hazara gesprochen haben.
Und bei Harald Krassnitzer, der Mazen Dakwars Geschichte erzählt hat. Bei Laura Schoch, Christine Okresek und bei Faiz Rasuli, der für Anahita Tasharofis Verein Flucht nach Vorn eingesprungen ist. Bei Mojtaba Tavakoli, der heute 23 Jahre alt ist und erzählt hat, wie er die Welt als 14jähriger gesehen hat. Bei Khaled Al-Ass, der mit seiner Familie über das Mittelmeer geflüchtet ist und an diesem Abend mit einer Riesenschüssel Tabouleh und seinen beiden Begleiterinnen Nancy Lee Akinci Seymann und Heidi Bauer aus dem Weinviertel zu uns gekommen ist. Bei Karwan Zandi, der mit Datteln, Humus, Tsaziki, Melanzani, Börek und Falafel in die Hauptbücherei gekommen ist. Und schließlich bei Masad Thani, der uns auf Vermittlung von seinem Lehrer Marwan Abado mit der Oud begleitet hat: herzlichen Dank an beide Herren!
Dass wir einmal mehr in der Hauptbücherei zu Gast sein durften, freut uns natürlich besonders – Dank an Christian Jahl und Werner Kantner und ihr Team. Schließlich freuen wir uns, dass Gianmaria Gava fotografiert hat (siehe oben) und Manuel Steinböck mit seinen Schülern den Abend im Video festgehalten hat (dazu demnächst mehr an dieser Stelle). In diesem Sinne: WIR SCHAFFEN DAS!