Mein Haus habe ich vor sechs Jahren gebaut. Die Fenster, den Dachstuhl, den Verputz habe ich machen lassen. Aber Bodenplatte, Mauern, Isolierung, Decke, Fliesen – alles selbst gemacht. Mein Vater war Tischler, Maurer, Dackdecker, Zimmerer. Wir Brüder haben mit ihm gearbeitet, von ihm gelernt. Als Erwachsener, schon in Österreich, habe ich in einer Zimmerei gearbeitet. Ich musste Geld verdienen für meine Familie. Von meiner Kunst hätten wir nicht leben können.
Seit 2008 bin ich geschieden. Mein Sohn und meine Tochter sind in Wien. Ich habe mich ins Industrieviertel zurückgezogen. Wenn es trocken ist, arbeite ich im Garten. Bei schlechtem Wetter bin ich in meinem Wohnatelier tätig, umgeben von ungezählten Kunstbüchern. Ich lese und will sehen, was andere Künstler machen. Schon als Bub wollte ich Maler werden.
Geboren wurde ich im Dorf, in Düvencik, in Ostanatolien. Mit zwölf habe ich die Stadt zum ersten Mal gesehen, Malatya. Dahin hat mich mein Vater gebracht, damit wir ein Foto für die Schule machen. Ich bin Kurde. Meine Muttersprache ist Kurdisch. Unsere Kultur ist Kurdisch. Türkisch habe ich erst in der Schule gelernt. Wenn heute irgendwo steht, ich sei ein türkischer Maler, ärgere ich mich. Ich bin kein Türke. Ich bin Kurde und Mensch. Woher einer kommt, interessiert micht nicht.
Das macht die Sache nicht immer einfacher. Man hat mich 1985 nach einer Aufnahmsprüfung an der Kunstakademie Ankara akzeptiert. Nach dem ersten Semester wurde ich rausgeschmissen. Ich bin ein Linker, ein Roter. Soldaten kamen damals zu mir. Sie haben gefragt, ob ich die Universität freiwillig verlassen will oder ob sie mich mitnehmen sollen. Was hatte ich für eine Wahl? Nach dem Militärdienst nochmal das Gleiche. Ich wurde an der Marmara Universität aufgenommen, wollte Lehrer für bildnerische Erziehung werden. Aber im Bildungsministerium war ich abgestempelt: ich würde nur an Privatschulen unterrichten dürfen.
Damals habe ich mein erstes Buch gemacht. Wir sollten Zeichnungen großer Künstler nachmachen. Weil es kaum Bildbände zu kaufen gab, hatte ich eine Idee: ich würde Bildmaterial zusammensuchen, für jeden Künstler eine kleine Biografie dazu schreiben und ein Buch machen, für Studenten. Das war ein Erfolg und hat über die Jahre zehn Auflagen erlebt. Ich konnte einen Buchladen aufmachen und einen Verlag gründen. Als ich meine Abschlußarbeit über „Kunst und Faschismus“ einreichen wollte, habe ich erkannt, dass es so nicht weitergeht. Die Kommission, die meine Arbeit begutachten sollte, hatte nur eine Frage: warum ich über Faschismus schreibe, wo doch die islamische Kunst so interessant sei. Zweimal wurden mir daraufhin die Scheiben meines Geschäfts eingeschlagen. Ich musste die Wohnung wechseln. Da war klar, dass ich weg muss. Ende Dezember 1996 kam ich nach Österreich. Im April konnte meine Frau mit unserem Sohn nachkommen. Mit Hilfsarbeiten haben wir uns durchgebracht. Aber ich wollte Kunst und Ausstellungen machen. Mein Leben ist Kunst, Kunst ist mein Leben.
Was ich tue, nenne ich Karismus. Karistirmak bedeutet Mischung. Auf diesen Begriff baue ich meinen eigenen ‑ismus. In den Werken finden Sie verschiedene Stilrichtungen. Ich brauche Material für meine Kompositionen. Alte Jutesäcke zum Beispiel. Mit Löchern drin. Mottenzerfressen. Von Mäusen angenagt. Solche Fetzen nähe ich zusammen. Die Nähte zeigen, dass es um Alles geht: um den Mensch, um die Natur, um unsere Umwelt, um die Zerstörung. Der Karismus ist ein Warnsignal, eine Aufschrei gegen die drohenden Gefahren, eine Operation. Wo man etwas zusammenflickt, bleiben Nähte. Ich will keinen schönen Bilder malen. Ich will etwas sagen mit meinen Bildern.