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Donnerstag, 22. Februar 2007

Wie ein lange vergangener Traum

Vivianne Schnitzer
Auf der Flucht vor Pinochet wurde die gebürtige Chilenin Vivianne Schnitzer, 51, zur Österreicherin. Heute lebt die Journalistin in den USA.


Gebo­ren bin ich in Sant­ia­go de Chi­le. Inzwi­schen lebe ich in der käl­tes­ten Stadt mei­nes Lebens, in Ann Arbor, einer Uni­ver­si­täts­stadt im Bun­des­staat Michi­gan, 40 Auto­mi­nu­ten von Detroit ent­fernt. Mein öster­rei­chi­sches Leben scheint mir manch­mal wie ein lan­ge ver­gan­ge­ner Traum.
Im Sep­tem­ber 1983 flüch­te­te ich vor Pino­chets Dik­ta­tur aus Chi­le und kam nach Wien, wo ich spä­ter mei­ne zwei Töch­ter gebo­ren habe. Die öster­rei­chi­sche Regie­rung zeig­te sich damals sehr groß­zü­gig und gewähr­te mir die Staats­bür­ger­schaft. Das waren noch ande­re Zei­ten, für­wahr. Jeden­falls stärk­te mir der öster­rei­chi­sche Pass in die­sen Jah­ren den Rücken: Ich konn­te nach Chi­le rei­sen und war dabei eini­ger­ma­ßen sicher, weil ich die öster­rei­chi­sche Bot­schaft hin­ter mir wuß­te. Mit einem bit­ter­sü­ßen Gefühl habe ich mei­ne öster­rei­chi­sche Staats­bür­ger­schaft bis heu­te behal­ten. Auch weil ich kei­ne ech­te Wahl habe: Soll ich Ame­ri­ka­ne­rin wer­den? Unter Bush? Oder soll ich zurück­ge­hen und mir einen chi­le­ni­schen Pass besor­gen? Nein.
Mir gefällt, was ich heu­te tue: Ich arbei­te an einer tol­len Uni­ver­si­tät. 60.000 For­scher, Pro­fes­so­ren, Ange­stell­te und Stu­den­ten bevöl­kern den Cam­pus. Ich bin in der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ab­tei­lung für spa­nisch­spra­chi­ge Belan­ge zustän­dig. Das ist zwar nicht so auf­re­gend wie der Jour­na­lis­mus. Mein Arbeits­le­ben in Wien als Mit­tel­eu­ro­pa-Kor­re­spon­den­tin für El Pais war mit grö­ße­ren Adre­na­lin­aus­stö­ßen ver­bun­den. Aber dafür hel­fe ich heu­te Men­schen, die das wirk­lich brau­chen. Lati­nos wer­den in Ame­ri­ka ja behan­delt wie Skla­ven: Sie sol­len arbei­ten, dabei aber mög­lichst unsicht­bar blei­ben. Und wenn sie ohne Papie­re auf­ge­grif­fen wer­den, depor­tiert man sie umstandslos.
Das euro­päi­sche Leben fehlt mir. Ich ver­mis­se die Kom­ple­xi­tät der Debat­ten, das Bewußt­sein und die Wach­sam­keit der poli­tisch akti­ven Men­schen. Ich ver­mis­se die Kul­tur, die Muse­en und mei­ne Freun­de. Ich ver­mis­se mei­nen Lieb­lings­ober, Herrn Robert vom Café Landt­mann. Sogar die deut­sche Spra­che, die ich anfangs gehasst habe, fehlt mir heu­te. Mein Haus ist zwar far­ben­froh wie jeder chi­le­ni­sche Haus­halt. Umge­ben bin ich aber von den Büchern von Canet­ti, Jeli­nek und Kaf­ka. Ich kann kei­nen Wal­zer hören, ohne zu wei­nen. Regel­mä­ßig lese ich im Inter­net über Öster­reich. Und mei­ne Töch­ter fah­ren häu­fig nach Wien, um ihren Vater zu besuchen.
Unter all den Län­dern, in denen ich bis­her gelebt habe, ist Öster­reich sicher das wich­tigs­te für mich. Dort habe ich die prä­gen­den Jah­re ver­bracht. Den­noch schre­cke ich seit Jah­ren davor zurück, Wien zu besu­chen. Immer wie­der ver­schie­be ich die­se Rei­se auf spä­ter. Oft den­ke ich dabei an mei­nen Vater, der 1939 aus Deutsch­land geflüch­tet und ein Leben lang nost­al­gisch geblie­ben ist. „Aber Euro­pa ist Euro­pa“, hat er mit trau­ri­gem Gesicht oft zu mir gesagt. Heu­te ver­ste­he ich ihn. Euro­pa ist Europa.

auf­ge­zeich­net von ES; ver­öf­fent­licht in: Die Zeit, Nr. 9/2007
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