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Mittwoch, 14. Februar 2007

Urbane Kräfte, digitale Welten

Stefan Possert
Stefan Possert, 31, Architekt virtueller Welten, pflegt in Berlin einen digitalen Lebensstil, bei dem Flugzeuge, U‑Bahn, Handy, PC und Internet miteinander vernetzt sind.


Gebo­ren bin ich in Inns­bruck, auf­ge­wach­sen groß­teils in Graz. Zwei­mal habe ich kurz in Ber­lin gewohnt. Vier Jah­re war ich in Ham­burg. Und jetzt bin ich seit sechs Jah­ren wie­der in Ber­lin. Inzwi­schen ist alles eins gewor­den: Ber­lin, Ham­burg, Mün­chen, Wien sind zu einer Stadt zusam­men­ge­wach­sen. Ich fah­re in Ber­lin mit dem BVG-Bus zum Flug­ha­fen Tegel, flie­ge nach Wien, stei­ge in die CAT-Bahn, dann in Wien-Mit­te in die U4. Das ist nicht anders, als ob ich von Prenz­lau­er Berg nach Char­lot­ten­burg muss. Ent­spre­chend erle­be ich das Urba­ne, das lan­ge so wich­tig für mich war, auch als Belas­tung: Die Stadt ist eine Maschi­ne, die wahn­sin­nig viel Dreck pro­du­ziert und die Men­schen ver­schleißt. Mein gan­zes Leben möch­te ich nicht so verbringen.
Noch genie­ße ich aller­dings die Abwechs­lung, die mir das Urba­ne bie­tet. Musik ist mir sehr wich­tig. Wenn ich nicht mehr wei­ter kann, macht sie mir Mut. Wenn ich auf­ge­wühlt bin, holt sie mich run­ter. Die Ber­li­ner Viel­falt hält immer das Rich­ti­ge bereit: An einem Abend kann ich rus­si­sche Musik aus den 20er Jah­ren hören, anschlie­ßend in ein Hip­hop-Kon­zert gehen, mich spä­ter bei Tech­no aus­to­ben und zur Erho­lung in einer schi­cken Jazz-Bar abstür­zen. Und das Bes­te dar­an: Alles ist echt, an jedem die­ser Orte tref­fe ich Men­schen, die den jewei­li­gen Stil wirk­lich leben.
Ich lie­be und lebe das Netz, füh­re einen zufrie­de­nen digi­tal life­style, nut­ze digi­ta­le Medi­en inten­siv und unauf­ge­regt all­täg­lich. In mei­nem Com­pu­ter lagern mei­ne Musik­samm­lung, mei­ne Fotos, mei­ne Kon­tak­te, mein gan­zes Kom­mu­ni­ka­ti­ons­netz. Weil ich mich ohne Com­pu­ter komisch füh­le, habe ich das Han­dy immer dabei. Dar­auf sind die wich­ti­gen Din­ge immer syn­chron und ins Web kann ich damit auch mal schnell.
Als Infor­ma­ti­ons­ar­chi­tekt erstel­le ich Bau­plä­ne für Web-basier­te Anwen­dun­gen. Nach die­sen Plä­nen gehen dann Pro­gram­mie­rer und Desi­gner ans Werk. Zur Zeit arbei­te ich für pla­zes, eine geo­so­zia­le Appli­ka­ti­on: Auf pla​zes​.com kann man sehen, wo sich Bekann­te, Freun­de und Kol­le­gen gera­de auf­hal­ten. Gleich­zei­tig hilft es, sich in sei­ner eige­nen oder einer unbe­kann­ten Umge­bung zurecht­zu­fin­den: Wo ist ein net­tes Café mit einem gra­tis Wire­less LAN? Wo ist ein guter Ita­lie­ner? Es geht um eine Abbil­dung der Rea­li­tät im Web, die unser Leben effi­zi­en­ter machen soll.
Der gegen­läu­fi­ge Trend, das Abkop­peln von die­ser ech­ten Rea­li­tät in vir­tu­el­le Online-Wel­ten, ängs­tigt mich. Vor allem, wenn ich Zom­bi-Kids sehe, die den gan­zen Tag am PC zocken, noch nie im Wald waren und kei­nen Bezug mehr zur Wirk­lich­keit haben. Es ist wich­tig, dass man die vir­tu­el­le Welt nicht als Ersatz für das ech­te Leben miss­ver­steht. Viel zu oft tref­fe ich Men­schen, die auf myspace oder XING sehr smart und kom­mu­ni­ka­tiv sind, an einem Kaf­fee­haus­tisch aber kein Wort mehr herausbringen.

auf­ge­zeich­net von ES; ver­öf­fent­licht in: Die Zeit, Nr. 7/2007
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