Ich habe immer im Ausland gelebt. In Italien, Frankreich und Ungarn war ich jeweils drei bis vier Jahre als Lektor an Universitäten verpflichtet. Dabei ging es mir nie darum, eine Auslandserfahrung im herkömmlichen Sinne zu machen. Ich will das jeweilige Land und seine Sprache verstehen. Das ist stets gelungen, auch in Argentinien, wo ich 1999 hinzog. Wichtig ist nur, dass ich für längere Zeit an einem Ort sein kann. Dann ist meine Aufmerksamkeit gesteigert, ich lebe also in einem sehr anregenden Zustand.
Bevor es jetzt nach Japan weiterging, weil in Nagoya eine Stelle als visiting professor für deutsche Literatur auf mich wartete, blieb ich ein Jahr lang unentschieden, wo ich künftig leben sollte. Eine Weile bin ich sogar zwischen Argentinien und Japan gependelt. Das war anstrengend, die Reise hat mehr als 24 Stunden verschlungen.
Inzwischen bin ich von Nagoya weiter nach Osaka und von dort nach Hiroshima gezogen. Ich bin mit einer Japanerin verheiratet. Und wir erwarten in diesen Tagen unser erstes Kind.
Es ist mir allerdings noch nie so schwer gefallen, die Landessprache zu erlernen. Einfach nur so, durch Leben und Alltag, kommt man in der japanischen Sprache nicht weiter. Pro Schriftzeichen gibt es mehrere Aussprachemöglichkeiten, je nach Kontext. Für einen Menschen jenseits der vierzig ist das eine wahnsinnige Herausforderung. Zum ersten Mal muss ich feststellen, dass der Kopf altert. Ich bin richtig angestrengt. Allerdings auch wild entschlossen. Mittlerweile beherrsche ich das Japanische wohl bis zu einem gewissen Grad – genau genommen aber ziemlich schlecht. Ich kann kaum einen Text lesen, an Zeitungslektüre ist nicht zu denken. Nur wenn sich jemand große Mühe gibt, kann ich mit ihm eine einfache Unterhaltung führen.
Japan ist in fast jeder Hinsicht eine besondere Herausforderung. Es gibt so viele Tabus, die ich nicht kennen kann. Dazu den extremen Formalismus. Das Leben dort ist voll ambivalenter Aspekte. Wer weiß, ob ich mich je zuhause fühlen werde.