Eigentlich war ich als Ausstellungsleiter der Internationalen Fototage Mannheim/Ludwigshafen gerade gut beschäftigt. Doch als meiner Frau ein Schauspielengagement am Wiener Volkstheater angeboten wurde, war die Sache klar. Wenig später übersiedelten wir in eine mir unbekannte Stadt. Seit jenem Herbsttag wohnen wir nun in der Leopoldstadt.
Noch in Mannheim hatte ich mir vorgenommen, ein Wien-Thema für meine nächste Fotoarbeit zu finden. Ich wollte nichts inszenieren, sondern etwas fotografieren, was es schon gibt. Als ich bei den ersten Spaziergängen den Prater entdeckte, wusste ich gleich, was zu tun war. Vier Jahre lang durchstreifte ich dieses Erlebnisuniversum mit meiner analogen Rolleiflex-Kamera. Dabei entstanden über 5000 Mittelformataufnahmen, auf denen viele Dinge zu sehen sind, die es jetzt schon nicht mehr gibt. Im Prater wird ständig geschraubt und gestrichen. Anlagen, die beim Publikum nicht gut ankommen, werden für die nächste Saison umgebaut. Was bei der einen Attraktion als Wand diente, wird für die nächste als Fußboden recycelt.
Die Galaxia, eine Kombination aus Geisterund Hochschaubahn, hatte der Betreiber einst als Kind in einem Vergnügungspark in Italien entdeckt. Als Erwachsener ist er dorthin zurückgefahren, um die Bahn für den Prater zu kaufen. Eines meiner Bilder zeigt diesen Raketenwahnsinn mit den kleinen Häusern dahinter, in denen die Besitzer wohnen. Erstaunlich, wie hier das normale Leben an die bunte Scheinwelt angrenzt. Inzwischen musste die Galaxia einer Paintball-Arena weichen. Die Wohnhäuser daneben stehen aber noch.
Anfangs zog mich die Leere im Prater an. Nur ab und an tauchen ein paar erlebnishungrige Leute auf. Dem Klischee entsprechend, müsste man jedoch eine vergnügungssüchtige Menschenmenge sehen, zumal das Betreten des Areals keinen Eintritt kostet. Für mich ist der Prater ein Labyrinth verschiedener Bühnen, auf denen jeder sein eigenes Erlebnis inszeniert. Indem man sich in dieser stark amerikanisierten Kunstwelt einer Reiseillusion hingibt und den Alltag hinter sich lässt, befriedigt er eine Sehnsucht. Meine Impressionen zeige ich nun in einer Ausstellung in einer Ottakringer Galerie namens anika handelt.
Es ist Luxus, so viel Zeit mit einem Thema verbringen zu dürfen. Man muss dafür aber gut gerüstet sein. Jahrelang ohne Auftrag und Honorar konsequent zu arbeiten erfordert starke Nerven und in meinem Fall einen Nebenjob im Telefonmarketing einer Tageszeitung.