Eigentlich bin ich Grafiker. Aber zehn Jahre meines Lebens habe ich der Gastronomie geopfert. Ich eröffnete ein Lokal in der Wiener Innenstadt, weil ich mich verändern wollte. Dass das ein Fehler war, wusste ich bald: der Job frisst einen auf. Aber es dauerte lange bis ich schuldenfrei war und wieder an Neues denken konnte. Dazu kam, dass ich den Anschluss verloren hatte. Früher bastelten wir Layouts mit Letraset und ließen gar eine Auto-Zeitschrift im Bleisatz drucken. Nach meinem Gastro-Abenteuer standen überall Computer, geheimnisvolle Maschinen, von denen ich keine Ahnung hatte.
Jetzt bin ich wieder gut im Geschäft. Ich produziere Zeitschriften am laufenden Band. Hochglanzmagazine für Luxustouristen: Wien-Exclusiv, Salzburg-Exclusiv, Tirol-Exclusiv. Journale für Auftraggeber wie das AKH, die Wiener Gebietskrankenkasse oder Amnesty International. Im Moment gestalte ich Prospekte für die WHO. Dass trotz Internet so viel gedruckt wird, stimmt mich zuversichtlich: Print stirbt nicht.
Mein Lebensthema ist die Migration, das Fremdsein. Mein Vater wurde 1938 aus Wien vertrieben. Meine Mutter kam aus Uruguay. Meine Stiefmutter, eine Jüdin aus Dresden, musste 1933 emigrieren. Ich bin in Chile geboren und in Argentinien aufgewachsen. Meine Schwester lebt in Wien. Nur unser Bruder blieb in Argentinien. Dass in meinem Freundeskreis viele Migranten sind, versteht sich. In den Waldheim-Jahren bewegte mich dieser Hintergrund zur Teilnahme am öffentlichen Diskurs. Ich kann nicht schreiben, aber gestalten. Und so begann ich, politische Plakate zu produzieren und diese auf eigene Rechnung zu verbreiten. Als Migrant gehe ich mit einer gewissen Legitimation an diese Themen und kann daher auch mehr riskieren. Wichtig ist mir immer, dass ich meine Meinung unabhängig von Subventionen kundtue. Meine jüngste Plakatserie wird im Mai in der Stadt affichiert.
Trotz aller Kritik fühle ich mich hier in Wien zugehörig. Das war bei meinem Vater anders. Der wäre in seiner Schulzeit am liebsten mit seinen Freunden in der Hitlerjugend aktiv gewesen, nur um dazu zu gehören. Seine Stiefmutter hatte ihm kurz vor dem Einmarsch der Nazis eröffnet, dass sein Vater Jude sei. Das Judentum war in dieser Familie total verdrängt. Von Gustav Mahler bis zu meinem Opa war man konvertiert, um im Leben vorwärts zu kommen. Die Erkenntnis, dass seine Großeltern Samuel Handl und Rosa Epstein hießen, prägte das Leben meines damals 17jährigen Vaters. 1998 kehrte er zum ersten und einzigen Mal nach Wien zurück. Er war gerührt, weil vieles aus seiner Kindheit noch da war: das Geschäftslokal der Eltern, der Hof dahinter, die Schule an der Stubenbastei. Von alledem hatte er uns zuvor nie erzählt. Er hat nie über Wien gesprochen. Er war ein guter Verdränger.