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Sonntag, 13. Dezember 2015

Wenn Ärzte schreiben

Hans Steiner
Hans Steiner ist Professor für Psychiatrie und menschliche Entwicklung an der Stanford University und lebt in Palo Alto.


Ich bin an der Stan­ford Uni­ver­si­tät als Pro­fes­sor für Psych­ia­trie und mensch­li­che Ent­wick­lung tätig. Beson­de­ren Wert lege ich bei mei­nem Tun auf den zwei­ten Teil, auf die mensch­li­che Ent­wick­lung. Die Psych­ia­trie beschäf­tigt sich mit Sym­pto­men und Krank­hei­ten. Das reicht aber in den meis­ten Fäl­len nicht. Es gibt Men­schen, die kei­ner­lei Krank­heits­sym­pto­me zei­gen, aber so leben als ob sie fest­ge­fro­ren wären. Sie ent­wi­ckeln sich nicht wei­ter. Häu­fig kann man die­ses Phä­no­men etwa bei Mäd­chen mit Anore­xie beob­ach­ten. Die wer­den psych­ia­trisch behan­delt und von ihrer Anore­xie geheilt. Dadurch kom­men sie zwar wie­der in einen Nor­mal­zu­stand, sie essen, sie haben ihre Peri­ode, sie gehen zur Schu­le. Aber sie machen nicht, was Gleich­alt­ri­ge machen. Sie blei­ben ste­cken. Dazu kommt, dass Men­schen, deren Mager­sucht geheilt wur­de, dann oft mit Angst­zu­stän­den reagie­ren, die sie an der Wei­ter­ent­wick­lung hin­dern. All das kann man nicht allein mit Dro­gen behandeln.
Dro­gen an sich sind nichts Schlech­tes. Als Arzt darf man aber nie ver­ges­sen, dass es in der Psych­ia­trie kein ein­zi­ges Medi­ka­ment gibt, das eine Krank­heit aus­ku­rie­ren kann. Wir haben kein Peni­cil­lin. Wir müs­sen daher psy­cho­lo­gisch gut beob­ach­ten und das sozia­le Umfeld inten­siv ein­be­zie­hen. Ich habe im Rah­men mei­ner For­schungs­grup­pe an der Stan­ford Uni­ver­si­ty über 30 Jah­re lang mit Delin­quen­ten gear­bei­tet, mit Gefäng­nis­in­sas­sen, mit trau­ma­ti­sier­ten Jugend­li­chen, die in den inner­städ­ti­schen Kriegs­zo­nen Kali­for­ni­ens auf­ge­wach­sen sind. Stress, Trau­ma­ti­sie­rung, Delin­quenz – die­se The­men domie­ren mein For­scher­le­ben. Heu­te set­ze ich gro­ße Hoff­nun­gen in die Ent­wick­lun­gen der Neu­ro­psy­cho­lo­gie, wo etwa bei der Behand­lung von Pati­en­ten mit Angst­stö­run­gen Vir­tu­al Rea­li­ty Gam­ing mit Bio­feed­back ver­bun­den wird. Die Umge­bung des Sili­con Val­ley ist bei sol­chen Metho­den sicher ein befruch­ten­der Faktor.
Ich bin inzwi­schen eme­ri­tiert, aber sowohl in Leh­re und For­schung als auch in mei­ner Pri­vat­pra­xis wei­ter­hin tätig. Dane­ben küm­me­re ich mich vor allem um unse­re Schreib­grup­pe hier an der Stan­ford Uni­ver­si­ty, „The Pega­sus Phy­si­ci­ans“. Die habe ich 2008 ini­tiert, weil das Lesen und Schrei­ben für Ärz­te essen­ti­ell ist. Der Arzt muss wis­sen, wie er in einen Men­schen ein­steigt. Und da hilft ihm das Schrei­ben. Aktu­ell sind mehr als 50 eta­blier­te Ärz­te und gut 20 Stu­den­ten bei uns schrei­bend aktiv. Wir sind in fünf Arbeits­grup­pen orga­ni­siert und kom­men ein­mal im Monat zusam­men, um Wer­ke vor­zu­tra­gen und zu dis­ku­tie­ren. Stel­len Sie sich ein­mal vor, Sie sind als Arzt auf einer onko­lo­gi­schen Sta­ti­on tätig. Da ster­ben jede Woche drei oder vier Kin­der. Das hal­ten Sie doch nicht ein­fach so aus. Viel­leicht wür­den Sie in der Reli­gi­on eine Stüt­ze fin­den. Bei mir funk­tio­niert das lei­der nicht. Dafür habe ich im Lauf mei­nes Lebens immer wie­der erfah­ren, wie wich­tig Geschich­ten für uns Men­schen sind. Wir spre­chen schon im Alter von ein bis zwei Jah­ren gut dar­auf an. Dem fol­gend soll­te das Schrei­ben von Geschich­ten schon in den Schu­len ganz fest ver­an­kert wer­den. Wir bie­ten des­halb auch Schreib­kur­se für unse­re Stu­den­ten an. Oben­drein laden wir jedes Jahr einen Gast­pro­fes­sor zu uns ein, den Pega­sus Phy­si­ci­ans Visi­ting Pro­fes­sor. Zuletzt hat mein öster­rei­chi­scher Lands­mann und Freund Pau­lus Hoch­gat­te­rer bei uns vor­ge­tra­gen. Wor­über er gespro­chen hat? Über das Geschich­ten­er­zäh­len. Und war­um das so wich­tig ist.

auf­ge­zeich­net von ES; ver­öf­fent­licht in: Die Zeit, Nr. 49/2015
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