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Donnerstag, 11. Januar 2007

Stille, die in den Ohren schmerzt

Nikola Christoph
Nikola Christoph, 36, verkauft in Reykjavik moderne Kunst, hat keine Kinder, aber drei Autos. Und lebt in Island um in Island zu sein.


Ich habe Tanz­päd­ago­gik stu­diert und als cho­reo­gra­phi­sche Assis­ten­tin an einem Tanz­thea­ter gear­bei­tet. Nach zehn Jah­ren fühl­te ich mich bei­na­he aus­ge­brannt. Einen lan­gen Urlaub konn­te ich mir nicht leis­ten. Also woll­te ich irgend­wo einen Job suchen, der mich nicht all­zu sehr for­dert. So bin ich im Alter von 32 nach Island gekom­men. Anfangs war ich Kell­ne­rin, jetzt arbei­te ich in einer Galerie.
Heu­te lebe ich in dem Gefühl, hier­her zu gehö­ren. Ich habe gefun­den, was mir gefehlt hat, obwohl ich nicht ein­mal genau sagen könn­te, was das ist. Das schöns­te Licht Euro­pas? Der schein­bar end­lo­se Him­mel? Die gut schme­cken­de Luft? Die Nord­lich­ter? Die Stil­le, die in den Ohren weh tut? Jeden­falls habe ich hier genug Platz für mich und mei­ne Gedanken.
Es ist wun­der­bar, im geheiz­ten Auto vor dem Eis­sa­lon zu sit­zen und Soft­eis mit Scho­ko­sauce zu essen. Ich genie­ße es, in der Mor­gen­däm­me­rung um zehn Uhr bei minus sie­ben Grad im Frei­bad zu schwim­men. Manch­mal beglei­te ich mei­nen Mann „in die Ber­ge“, aufs Hoch­land. Gud­mun­dur kut­schiert Tou­ris­ten mit einem Super­jeep durch die Land­schaft. Die­se Autos haben Rei­fen, die höher als mei­ne Bei­ne sind. Damit geht es dann auf einen Glet­scher zum Ski­doo fahren.
Mein Vater ist Tiro­ler, mei­ne Mut­ter Dänin. Spra­che und Iden­ti­tät waren immer ein wich­ti­ges The­ma für mich. Wie skan­di­na­visch ich eigent­lich bin, habe ich erst in Island wahr­ge­nom­men. Schnell ist mir auf­ge­fal­len, wie gut ich in das Gesamt­bild pas­se. Inzwi­schen den­ke ich islän­disch und schrei­be mei­ne Ein­kaufs­lis­ten islän­disch. Im Aus­land leben heisst für mich, schnell die Spra­che zu ler­nen. Das ist die ein­zi­ge Mög­lich­keit, sich auf Dau­er in einer Gesell­schaft wohl zu füh­len. Weil ich aber nicht feh­ler­frei bin, spre­chen mich manch­mal Men­schen dar­auf an. Denen ant­wor­te ich, dass ich aus öster­reich kom­me. Ich sage aber nicht mehr, dass ich Öster­rei­che­rin bin.
Island ist ein biss­chen grö­ßer als Öster­reich, aber unter­schied­li­cher kön­nen zwei Län­der kaum sein. In Island leben wir wirk­lich auf einer Insel, unse­re Nach­barn sind weit weg: Grön­land 287 Kilo­me­ter, die Färö­er Inseln 420 Kilo­me­ter, Schott­land 798 Kilo­me­ter. Öster­reich gilt mit sei­nen 98 Ein­woh­ner pro Qua­drat­ki­lo­me­ter als ver­gleichs­wei­se dünn besie­delt. In Island tei­len wir uns einen Qua­drat­ki­lo­me­ter zu dritt. Die Islän­der sind ihren Mit­men­schen gegen­über tole­ran­ter, weil sie nicht so vie­le sind, weil sie nicht so eng auf­ein­an­der sit­zen. Das wird aber nicht so blei­ben: Seit eini­gen Wochen gibt es eine hef­ti­ge Aus­län­der­dis­kus­si­on, weil so vie­le Arbeits­kräf­te impor­tiert wer­den müs­sen, um den Arbeits­markt funk­ti­ons­fä­hig zu hal­ten. Über den Som­mer muss­te gar eine städ­ti­sche Bus­li­nie ein­ge­stellt wer­den, weil nicht genug Fah­rer zur Urlaubs­ver­tre­tung bereit standen.

auf­ge­zeich­net von ES; ver­öf­fent­licht in: Die Zeit, Nr. 03/2007
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