Ich habe Tanzpädagogik studiert und als choreographische Assistentin an einem Tanztheater gearbeitet. Nach zehn Jahren fühlte ich mich beinahe ausgebrannt. Einen langen Urlaub konnte ich mir nicht leisten. Also wollte ich irgendwo einen Job suchen, der mich nicht allzu sehr fordert. So bin ich im Alter von 32 nach Island gekommen. Anfangs war ich Kellnerin, jetzt arbeite ich in einer Galerie.
Heute lebe ich in dem Gefühl, hierher zu gehören. Ich habe gefunden, was mir gefehlt hat, obwohl ich nicht einmal genau sagen könnte, was das ist. Das schönste Licht Europas? Der scheinbar endlose Himmel? Die gut schmeckende Luft? Die Nordlichter? Die Stille, die in den Ohren weh tut? Jedenfalls habe ich hier genug Platz für mich und meine Gedanken.
Es ist wunderbar, im geheizten Auto vor dem Eissalon zu sitzen und Softeis mit Schokosauce zu essen. Ich genieße es, in der Morgendämmerung um zehn Uhr bei minus sieben Grad im Freibad zu schwimmen. Manchmal begleite ich meinen Mann „in die Berge“, aufs Hochland. Gudmundur kutschiert Touristen mit einem Superjeep durch die Landschaft. Diese Autos haben Reifen, die höher als meine Beine sind. Damit geht es dann auf einen Gletscher zum Skidoo fahren.
Mein Vater ist Tiroler, meine Mutter Dänin. Sprache und Identität waren immer ein wichtiges Thema für mich. Wie skandinavisch ich eigentlich bin, habe ich erst in Island wahrgenommen. Schnell ist mir aufgefallen, wie gut ich in das Gesamtbild passe. Inzwischen denke ich isländisch und schreibe meine Einkaufslisten isländisch. Im Ausland leben heisst für mich, schnell die Sprache zu lernen. Das ist die einzige Möglichkeit, sich auf Dauer in einer Gesellschaft wohl zu fühlen. Weil ich aber nicht fehlerfrei bin, sprechen mich manchmal Menschen darauf an. Denen antworte ich, dass ich aus österreich komme. Ich sage aber nicht mehr, dass ich Österreicherin bin.
Island ist ein bisschen größer als Österreich, aber unterschiedlicher können zwei Länder kaum sein. In Island leben wir wirklich auf einer Insel, unsere Nachbarn sind weit weg: Grönland 287 Kilometer, die Färöer Inseln 420 Kilometer, Schottland 798 Kilometer. Österreich gilt mit seinen 98 Einwohner pro Quadratkilometer als vergleichsweise dünn besiedelt. In Island teilen wir uns einen Quadratkilometer zu dritt. Die Isländer sind ihren Mitmenschen gegenüber toleranter, weil sie nicht so viele sind, weil sie nicht so eng aufeinander sitzen. Das wird aber nicht so bleiben: Seit einigen Wochen gibt es eine heftige Ausländerdiskussion, weil so viele Arbeitskräfte importiert werden müssen, um den Arbeitsmarkt funktionsfähig zu halten. Über den Sommer musste gar eine städtische Buslinie eingestellt werden, weil nicht genug Fahrer zur Urlaubsvertretung bereit standen.