Am 2. Mai 2000 bin ich aus Luxemburg nach Wien übersiedelt, wegen meiner Lebensgefährtin. Vergangenen April haben wir uns getrennt. Da habe ich lange überlegt, wie es weitergehen soll – ob ich alleine in Wien bleiben oder wieder zurück in meine Heimat gehen soll. Schließlich ist die Entscheidung aber ganz einfach gefallen: ich bin Arbeiter und habe mit meinen 46 Jahren keine Chance mehr, je einen vernünftigen Job zu finden. Erst recht nicht in Luxemburg, wo es große Reichtümer, aber eben kaum Arbeit für einen wie mich gibt. Da ist es besser, ich bleibe als Taxifahrer in Wien. Zumal mir Wien außerordentlich gut gefällt.
Ich habe früher alle möglichen Jobs gehabt. Als Berufskraftfahrer habe ich gearbeitet, als Versicherungskaufmann, die längste Zeit als Richtmeister: 13 Jahre lang habe ich in einer Fabrik, in der aus 20 Tonnen schweren Blechrollen Karosserieteile für die Autoindustrie gefertigt wurden, die Maschinen gerichtet, sie also richtig eingestellt. Dann habe ich meine Österreicherin kennengelernt und bin nach Wien gezogen. Weil ich nach einem Arbeitsunfall eine finanzielle Entschädigung bekommen hatte, musste ich nicht sofort arbeiten. Mein erster Job, als Portier für die Firma Securitas im Hotel Imperial, war dann so langweilig, dass ich es kaum beschreiben kann. Ich mußte Rundgänge machen, eine Woche Nachtdienst, die nächste tagsüber. Jede Schicht dauerte zwölf Stunden. Es war unglaublich fad. Eines Tages wurde ich arbeitslos. Und weil der Arbeitsmarkt schlecht war, habe ich beschlossen, Taxifahrer zu werden.
Ich bin kein Großverdiener, aber ich habe ich einen Job. Von sechs bis 18 Uhr bin ich jeden Tag unterwegs. In der Früh versuche ich im 21. Bezirk mein Glück, damit ich den Tag mit einer langen Fahrt in die Stadt beginnen kann. Nachts fahre ich nicht, das ist zu gefährlich. Gerade hat es ja wieder einen Kollegen erwischt – erschossen. Ich habe ihn nicht gekannt, er war ein Fremder für mich, ein Mensch, der auch nur sein Geld verdienen wollte. Der musste so wie ich 60 Stunden hart arbeiten, um über die Runden zu kommen. Deshalb habe ich auch an der Gedächtnisfahrt teilgenommen, die Kollegen nach seinem Tod organisiert haben: aus Solidarität sind wir mit unseren Taxis im Konvoi durch die Stadt gefahren.
Manchmal wundere ich mich über meine Gäste. Da sind wir in einer der schönsten Städte. Es gibt großartige Museen, tolle Sehenswürdigkeiten. Man könnte nach Schönbrunn fahren. Oder etwas aus dem Leben von Sigmund Freud besichtigen. Aber was wollen die Menschen? Sie lassen sich zum Karl-Marx-Hof chauffieren. Vor allem die Italiener. Irgendwer hat denen erzählt, dass in Wien das längste Wohnhaus der Welt steht. Und deshalb darf ich sie zu einem Gemeindebau nach Heiligenstadt fahren.