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Sonntag, 21. Juni 2009

Ruhe in Frieden

Der Schriftsteller Adam Zielinski wurde zum 80. Geburtstag mit dem Manès Sperber-Würdigungspreis für Leben und Werk ausgezeichnet.
Zuletzt geändert am 9. Dezember 2023
Adam Zielinski


Ich bin in Stryj auf­ge­wach­sen, einer Klein­stadt, 80 Kilo­me­ter süd­lich von Lem­berg, in der west­li­chen Ukrai­ne. Von den 19 000 Juden, die ein­mal dort zuhau­se waren, haben 42 den Holo­caust über­lebt. Einer davon bin ich.
Es fällt auf, dass mei­ne Hei­mat vie­le Schrift­stel­ler her­vor­ge­bracht hat. Lud­wig Beglei­ter, mit dem ich noch gespielt habe, wur­de als Lou­is Begley welt­be­kannt. Aus Pesach Stark, eben­falls aus Stryj gebür­tig, wur­de der berühm­te pol­ni­sche Jour­na­list und Autor Juli­an Stry­i­kow­ski. Und Iwan Fran­ko, der Sohn des Dorf­schmieds, ist einer der bekann­tes­ten ukrai­ni­schen Dich­ter. Wo wir auf­ge­wach­sen sind, zähl­te nur eines: das Wis­sen. Man ver­lang­te etwas von den Kin­dern, sie soll­ten ler­nen. Ich habe 200 Gedich­te memo­riert. Stark beein­druckt war ich von den wan­dern­den Erzäh­lern, die umher zogen, und ihre Geschich­ten zum Bes­ten zu geben. Fas­zi­nie­rend war, wie eng die jüdi­schen Erzäh­ler den Kon­takt zu den Zuhö­rern hal­ten konn­ten. Sie gin­gen durch die Bank­rei­hen und hiel­ten so die Span­nung auf­recht. Mein Erzähl­drang geht wohl auf die­se Erleb­nis­se zurück. Lei­der ver­stand ich die Spra­che der Erzäh­ler nicht. Mein Vater, ein assi­mi­lier­ter Rechts­an­walt, sorg­te nicht dafür, dass sein ein­zi­ger Sohn Hebrä­isch oder Jid­disch lern­te. Abends ging er mit mir auf den Kor­so, um mich im Gespräch zu bil­den. Er woll­te einen klei­nen Spi­no­za aus mir machen. Lei­der blieb bei den Spa­zier­gän­gen nicht viel Zeit für mich, weil man ihn stän­dig grüß­te. Den­noch ver­dan­ke ich ihm, was ich im Leben erreicht habe.
Mein Vater wur­de im Sep­tem­ber 1941 nach dem Ein­marsch der Wehr­macht mit hun­dert ande­ren klein­städ­ti­schen Intel­lek­tu­el­len ver­haf­tet. Im nahen Holo­bu­tow hat man sie alle erschos­sen. Mei­ne Mut­ter, die mich über alles lieb­te, ver­starb bald dar­auf. Mit 13 war ich Voll­wai­se. Bis Kriegs­en­de hielt ich mich in Lem­berg über Was­ser und konn­te schließ­lich in Kra­kau stu­die­ren. Nach Holo­bu­tow zu kom­men, um das Grab mei­nes Vaters zu fin­den, ist mir damals nie gelungen.
Erst 1998 – da hat­te ich drei Jahr­zehn­te als Geschäfts­mann hin­ter mir und war längst als Schrift­stel­ler tätig – bot sich die Gele­gen­heit, den Ort zu besu­chen. Ich hat­te Jah­re zuvor mei­ne Erzäh­lung Holo­bu­tow geschrie­ben und mir aus­ge­malt, wie es dort sein müss­te – »wie eine Kulis­se für Bil­der von Chagall«, hat­te ich for­mu­liert. Als ich nun mit einem pol­ni­schen Fern­seh­team nach Holo­bu­tow kam, war alles genau so. Sogar die berühm­te Zie­ge war da. Jede Hüt­te neig­te sich in eine ande­re Rich­tung. Dort, wo mein Vater und die ande­ren Män­ner im Mas­sen­grab ruhen, haben wir einen Obe­lisk errich­tet, einen Stein aus dem Ver­nich­tungs­la­ger Bel­zec. Auf dem steht in drei Spra­chen: Shalom. Ruhe in Frieden.

auf­ge­zeich­net von ES; ver­öf­fent­licht in: Die Zeit, Nr. 26/2009
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