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Samstag, 30. Mai 2009

Auf die Couch während der Krise

Mercedes Bourgeot
Die 58jährige Psychotherapeutin Mercedes Bourgeot arbeitet besonders gerne mit Frauen aus anderen Kulturen.


Ich kom­me aus der lin­ken Tra­di­ti­on. Wil­helm Reich, Kör­per­ar­beit, an den Aggres­sio­nen arbei­ten, Psy­cho­the­ra­pie mit poli­ti­schem Bewußt­sein zu ver­bin­den – das war mein Pro­gramm. 1984 habe ich mit bio­dy­na­mi­schen Mas­sa­gen begon­nen und dann 13 Jah­re lang mit Kol­le­gen Grup­pen­the­ra­pien ange­bo­ten. Inzwi­schen ist alles anders.
Die For­schung hat gezeigt, dass Erlern­tes im Gehirn Prä­gun­gen hin­ter­lässt, wodurch man immer wie­der auf bestimm­te Gefühls­zu­stän­de zurück­fällt. Schon des­we­gen will ich Wut oder Aggres­si­on nicht mehr zum Aus­gangs­punkt einer The­ra­pie machen. Ich kon­zen­trie­re mich heu­te auf das Posi­ti­ve. Ich will Men­schen unter­stüt­zen, die sich selbst zum Wohl­füh­len ver­hel­fen wol­len. Ich schla­ge ihnen vor, den Tag mög­lichst schön zu begin­nen, weil sie davon den Rest des Tages pro­fi­tie­ren. Sie sol­len ler­nen, sich selbst zu ach­ten und womög­lich gar Lie­be zu empfinden.
Frü­her hat­ten wir im lin­ken Jar­gon eine gemein­sa­me Spra­che. Da kamen Men­schen zu mir, die an sich arbei­ten woll­ten. Wachs­tums­ar­beit nann­ten wir das. Heu­te kom­men Pati­en­ten, die sagen: der Arzt schickt mich. Sie brau­chen eine Krank­heit, eine Dia­gno­se, damit die Kran­ken­kas­se die The­ar­pie­kos­ten über­nimmt. Das birgt die Gefahr, dass wir auf das Krank­sein star­ren, anstatt an den groß­ar­ti­gen Poten­tia­len des Ein­zel­nen zu arbeiten.
Vie­le mei­ner Kli­en­ten kom­men aus der Intel­lek­tu­el­len­sze­ne. Vie­le sind Aus­län­de­rin­nen. Beson­ders fas­zi­nie­rend ist die Arbeit mit mei­nen tür­ki­schen und alge­ri­schen Kli­en­tin­nen. Das sind moder­ne Frau­en, die stu­diert haben und sehr auf­ge­klärt sind. Die wol­len frei sein und haben im Kopf alles geklärt. Und den­noch gelingt das Leben nicht so, wie sie sich das vor­stel­len. Sie sind zer­ris­sen, weil die kul­tu­rel­len Ein­flüs­se plötz­lich aus einer ganz ande­ren Ecke wie­der auf sie zukom­men. Sie ent­wi­ckeln ein schlech­tes Gewis­sen, weil sie sich nicht der Norm ent­spre­chend ver­hal­ten. Die­se Art von Zer­ris­sen­heit lie­be ich – ver­mut­lich, weil ich sie als Aus­län­de­rin selbst kenne.
In Zei­ten der Kri­se kommt eine beson­de­re Her­aus­for­de­rung auf uns zu: Alle haben Angst. Men­schen, die bes­ser abge­si­chert sind, als ich es bin, kom­men mit Kri­sen­ängs­ten zu mir. Ich ertap­pe mich dabei, selbst Angst zu haben. Mei­ne Hono­ra­re sind sozi­al gestaf­felt: Die­je­ni­gen, die Geld haben, zah­len gut; von den Kas­sen­pa­ti­en­ten neh­me ich, was die Kas­se gibt; bei jenen, die wenig haben, gehe ich mit dem Preis run­ter. Jetzt fürch­te ich manch­mal, dass ich nicht genug ver­die­nen wer­de, wenn die wohl­si­tu­ier­ten Pati­en­ten spa­ren. Frü­her war mein Leben Rebel­li­on pur und Geld unwich­tig. Ich muss geste­hen, dass sich das geän­dert hat: Heu­te ist Geld wich­tig, auch für mich.

auf­ge­zeich­net von ES; ver­öf­fent­licht in: Die Zeit, Nr. 13/2009
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