Ich koche gerne. Doch seit mein 13-jähriger Sohn ausgezogen ist, habe ich nur noch Prosecco, Parmesan und Nagellack im Eisschrank. Für mich allein stelle ich mich nicht an den Herd.
Vergangenen Sommer hat Gabriel angekündigt, dass er künftig bei seinem Vater leben möchte. Mit der Pubertät wuchs offensichtlich der Wunsch, dem Vater näher zu sein. Und so ist er mit Beginn des Schuljahres im September übersiedelt. Alle Kleider, die ihm zu dem Zeitpunkt gepasst habe, fanden in einem Koffer Platz. Nach und nach haben wir ein paar Taschen mit Kram von hier nach dort geschafft. Zurück blieb ein Kleiderschrank voll mit Dingen, aus denen er herausgewachsen war.
Die neuen Verhältnisse sind gewöhnungsbedürftig. Im ersten halben Jahr ohne Gabriel ging es mir nicht gut. Ich mußte mich neu organisieren. Zuvor hatte ich nie zuvor als Single in Wien gelebt. Nun musste ich lernen, auszugehen. Zwölf Jahre lang hat mich meine Umgebung als Mama wahrgenommen. Wer mich sehen wollte, musste einen Termin vereinbaren, weil ich seit der Scheidung immer eine Babysitterin brauchte. Jetzt können sich Freunde spontan mit mir treffen. Bereitwillig springe ich ein, wenn jemand sein Konzert- oder Theaterabo nicht wahrnehmen kann. Ich finde Gefallen an den neuen Umständen.
Das Erstaunlichste ist, dass es nun scheint, als lägen wir in einem Trend. Seit Gabriel ausgezogen ist, habe ich im Freundes- und Bekanntenkreis schon von drei ähnlich gelagerten Fällen erfahren. Kinder, deren Eltern getrennt leben, zieht es in einem gewissen Alter offenbar zu ihren Vätern. Nur spricht man da nicht gerne darüber. Dass ein Kind von seiner Mutter weg will – das ist eigentlich tabu. Unser Mutter-Sohn-Verhältnis hat sich aber seit Gabriels Auszug verbessert, also rede ich mit anderen Menschen recht direkt darüber. Und das führt dazu, dass sie sich mir gegenüber öffnen.
In Wien bin ich nur wegen Gabriel. Weil sein Vater und ich dem Jungen nach der Scheidung Stabilität geben wollten, fiel unser beider Wahl auf die Stadt. Meine Heimat Oberrotweil kam nicht in Frage: Tausend Einwohner, das war mir immer zu klein. Ich habe zwölf Jahre in Süd‑, Mittel- und Nordamerika gelebt. Ohne Kind wäre ich heute vermutlich in Spanien zu Hause, das läge mir von der Mentalität näher. Ich will über Wien nicht meckern, die Stadt ist in Ordnung – sie liegt nur zu östlich. Bratislava, Budapest, Prag, die man von hier aus gut erreichen kann, interessieren mich nicht. Und selbst wenn ich zwei Stunden gen Süden fahre, bin ich erst in Graz. Noch mache ich keine Pläne, aber gut möglich, dass es mich eines Tages nach Spanien verschlägt.