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Freitag, 23. September 2016

Mortadella für Pavarotti

Leonardo Famea, 51, versucht als Verkäufer den Wienern ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.
Leonardo Famea light


Ich war drei Jah­re in der Hotel­fach­schu­le und habe dann als Kell­ner gear­bei­tet. Mein Vater hät­te sei­ne vier Kin­der ger­ne auf einem siche­ren Arbeits­platz in der Stadt­ver­wal­tung oder bei der Post unter­ge­bracht. Die bei­den älte­ren Geschwis­ter haben ihm auch gefolgt. Die sind heu­te noch bei der Post. Ich woll­te aber von mei­nen eige­nen Fähig­kei­ten leben. Also wur­de ich Kell­ner. 18 Mona­te war ich in Grau­bün­den, in der Schweiz, in einem fei­nen Sport­ho­tel, im Restau­rant. Dann in Süd­ti­rol. Spä­ter habe ich von Sai­son zu Sai­son in den Super­märk­ten der Urlaubs­or­te als Ver­käu­fer gear­bei­tet. In Gra­do. In Ligna­no. Da waren vie­le Öster­rei­cher mei­ne Kunden.

Vor 20 Jah­ren bin ich nach Wien gegan­gen. In Gori­zia gibt es nichts mehr, die Stadt stirbt lang­sam vor sich hin. Frü­her hat der ita­lie­ni­sche Teil von Import/​Export gelebt. Jetzt ist die Gren­ze zu Slo­we­ni­en offen und es gibt kaum Jobs in der Stadt. In Wien läuft es gut für mich. Ich lebe in Favo­ri­ten, habe eine Jah­res­kar­te für die Wie­ner Lini­en, eine Vor­teils­kar­te für die ÖBB, bin unge­bun­den, habe kei­ne Sor­ge­pflich­ten, kei­ne Schei­dungs­dra­men, kein Auto. Elf Jah­re lang war ich beim Bil­la in den Ring­stra­ßen-Gal­le­rien in der Fein­kost. Seni­or Pava­rot­ti war mein Kun­de. Ric­car­do Muti hat sei­ne Mor­ta­del­la bei mir holen las­sen. Sei­ji Oza­wa war oft da. Unfass­bar, der Mann ist welt­be­kannt und dabei der net­tes­te Mensch, den man sich den­ken kann. Sei­ne Fri­sur, sei­ne Höf­lich­keit, alles perfetto.


Jetzt bin ich schon bald zehn Jah­re bei der Kon­kur­renz, beim Spar, immer noch im ers­ten Bezirk, in der Vor­lauf­stra­ße. Ich ver­kau­fe Fleisch, Wurst, Käse, Brot. Ich will etwas anbie­ten, nicht nur Leber­kä­se in Sem­meln ver­kau­fen. Pro­sci­ut­to, Bein­schin­ken, Roast­beef, gute Ware. Ich bin ein Bot­schaf­ter der Freund­lich­keit. Ich will den Men­schen ein Lächeln ins Gesicht zau­bern. Ich bin kein Robo­ter, ich kom­mu­ni­zie­re. Bei man­chen Kun­den schei­te­re ich aller­dings. Ich brau­che Ihre Tipps nicht, heisst es dann. Oder: ich weiß schon sel­ber, was ich will. Dann gibt es noch die Sor­te Mensch, die knapp vor Geschäfts­schluss rein­kommt und ein Stück Fleisch faschiert haben will, obwohl die Maschi­ne schon geputzt ist. Die ken­ne ich, sol­che Leu­te kom­men zum Pro­vo­zie­ren. Da hal­te ich mich dann ein­fach zurück.


Ich bin ein treu­er Mensch, ich kau­fe mei­ne Lebens­mit­tel alle beim Spar. Frü­her habe ich nur beim Bil­la gekauft. Ich esse nicht nur Pro­sci­ut­to, manch­mal kau­fe ich öster­rei­chi­schen Jau­sen­speck. Aber mit der öster­rei­chi­schen Wurst kann ich lei­der nichts anfan­gen. Gut, dass es Mor­ta­del­la gibt. Für einen eige­nen Laden reicht mein Mut nicht. Ich wäre sofort plei­te. Aber so ist es gut. Ich habe jeden zwei­ten Sams­tag frei. Da kann man durch­at­men. Mei­ne Schwä­ge­rin in Ita­li­en muss als Ver­käu­fe­rin auch am Sonn­tag arbei­ten. Das wäre wohl mein Ende. Der Mensch braucht min­des­tens einen Tag in der Woche zum Erholen.

auf­ge­zeich­net von ES; ver­öf­fent­licht in: Die Zeit, Nr. 18/2016
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