Ich war drei Jahre in der Hotelfachschule und habe dann als Kellner gearbeitet. Mein Vater hätte seine vier Kinder gerne auf einem sicheren Arbeitsplatz in der Stadtverwaltung oder bei der Post untergebracht. Die beiden älteren Geschwister haben ihm auch gefolgt. Die sind heute noch bei der Post. Ich wollte aber von meinen eigenen Fähigkeiten leben. Also wurde ich Kellner. 18 Monate war ich in Graubünden, in der Schweiz, in einem feinen Sporthotel, im Restaurant. Dann in Südtirol. Später habe ich von Saison zu Saison in den Supermärkten der Urlaubsorte als Verkäufer gearbeitet. In Grado. In Lignano. Da waren viele Österreicher meine Kunden.
Vor 20 Jahren bin ich nach Wien gegangen. In Gorizia gibt es nichts mehr, die Stadt stirbt langsam vor sich hin. Früher hat der italienische Teil von Import/Export gelebt. Jetzt ist die Grenze zu Slowenien offen und es gibt kaum Jobs in der Stadt. In Wien läuft es gut für mich. Ich lebe in Favoriten, habe eine Jahreskarte für die Wiener Linien, eine Vorteilskarte für die ÖBB, bin ungebunden, habe keine Sorgepflichten, keine Scheidungsdramen, kein Auto. Elf Jahre lang war ich beim Billa in den Ringstraßen-Gallerien in der Feinkost. Senior Pavarotti war mein Kunde. Riccardo Muti hat seine Mortadella bei mir holen lassen. Seiji Ozawa war oft da. Unfassbar, der Mann ist weltbekannt und dabei der netteste Mensch, den man sich denken kann. Seine Frisur, seine Höflichkeit, alles perfetto.
Jetzt bin ich schon bald zehn Jahre bei der Konkurrenz, beim Spar, immer noch im ersten Bezirk, in der Vorlaufstraße. Ich verkaufe Fleisch, Wurst, Käse, Brot. Ich will etwas anbieten, nicht nur Leberkäse in Semmeln verkaufen. Prosciutto, Beinschinken, Roastbeef, gute Ware. Ich bin ein Botschafter der Freundlichkeit. Ich will den Menschen ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Ich bin kein Roboter, ich kommuniziere. Bei manchen Kunden scheitere ich allerdings. Ich brauche Ihre Tipps nicht, heisst es dann. Oder: ich weiß schon selber, was ich will. Dann gibt es noch die Sorte Mensch, die knapp vor Geschäftsschluss reinkommt und ein Stück Fleisch faschiert haben will, obwohl die Maschine schon geputzt ist. Die kenne ich, solche Leute kommen zum Provozieren. Da halte ich mich dann einfach zurück.
Ich bin ein treuer Mensch, ich kaufe meine Lebensmittel alle beim Spar. Früher habe ich nur beim Billa gekauft. Ich esse nicht nur Prosciutto, manchmal kaufe ich österreichischen Jausenspeck. Aber mit der österreichischen Wurst kann ich leider nichts anfangen. Gut, dass es Mortadella gibt. Für einen eigenen Laden reicht mein Mut nicht. Ich wäre sofort pleite. Aber so ist es gut. Ich habe jeden zweiten Samstag frei. Da kann man durchatmen. Meine Schwägerin in Italien muss als Verkäuferin auch am Sonntag arbeiten. Das wäre wohl mein Ende. Der Mensch braucht mindestens einen Tag in der Woche zum Erholen.