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Donnerstag, 13. Oktober 2016

Daheim am Macondoplatz

Husni Sheikho
Der Baggerfahrer Husni Sheikho, 20, ist aus Syrien geflüchtet und lebt in Wien-Simmering.


Ich stam­me aus Afrin, einem Bezirk im Gou­ver­ne­ment Alep­po. Zu sagen, dass man aus Afrin kommt, bedeu­tet fak­tisch, dass man Kur­de ist. Nach der Schu­le habe ich immer gear­bei­tet. Ich habe mei­nem Vater gehol­fen, der mit Oli­ven und ande­ren Lebens­mit­teln gehan­delt hat. Vor allem habe ich für mei­nen Cou­sin als Bag­ger­fah­rer gear­bei­tet. Mein Onkel hat mit sei­ner Fir­ma Was­ser­lei­tun­gen gebaut, wir haben die Grä­ben dafür aus­ge­ho­ben. Ins­ge­samt gab es in mei­ner erwei­ter­ten Fami­lie 14 Bag­ger­fah­rer. Lei­der wur­de das Leben im Lauf der Jah­re immer schlech­ter in Afrin. Am Abend war es beson­ders gefähr­lich, man soll­te bes­ser um 19.00 zuhau­se sein. Nach­dem zwei mei­ner Onkel und zwei mei­ner Cou­sins getö­tet wor­den waren, mach­te ich mich auf den Weg in die Tür­kei. Ein paar Wochen spä­ter kamen auch mei­ne Eltern und Brü­der nach Istan­bul; mei­ne bei­den Schwes­tern leben bis heu­te in Afrin. Zwei Jah­re und sechs Mona­te habe ich in einer tür­ki­schen Fabrik gear­bei­tet, die T‑Shirts pro­du­ziert. Wir haben die Ware gebü­gelt und verpackt.

Seit genau einem Jahr und 20 Tagen bin ich jetzt mit mei­nen Eltern und zwei Brü­dern in Wien. Wir leben im Macon­do, einer Sied­lung für Flücht­lin­ge in Sim­me­ring. Mei­ne Eltern bewoh­nen mit mei­nem 15jährigen Bru­der die Unter­kunft Num­mer 27, der ande­re Bru­der wohnt auf 31 und ich bewoh­ne das Zim­mer Num­mer 6. Vier Tage in der Woche besu­che ich einen Deutsch­kurs, immer für drei Stun­den. Den Rest des Tages habe ich nicht viel zu tun. Es ist schwie­rig, weil alle Leu­te Ara­bisch spre­chen. Ich möch­te aber schnell Deutsch ler­nen und gehe oft zu Ange­li­ka oder zu Jan in den Flücht­lings­dienst der Dia­ko­nie, damit ich schnel­ler ler­ne. Am liebs­ten wür­de ich arbei­ten. Sobald mein Deutsch gut ist, möch­te ich mich zum Bag­ger­fah­rer aus­bil­den lassen.

Ges­tern habe ich hier einen Mann ken­nen­ge­lernt, der mir die Geschich­te von Macon­do erzählt hat. Genau vor 60 Jah­ren kamen die ers­ten Flücht­lin­ge auf die­ses Gelän­de, das frü­her eine Kaser­ne war. Die­se Leu­te waren aus Ungarn. Den Namen Macon­do brach­ten 20 Jah­re spä­ter Flücht­lin­ge aus Chi­le nach Sim­me­ring. Jetzt bau­en wir gemein­sam mit einem Team von „Archi­tek­tur ohne Gren­zen“ einen schö­nen Platz in der Mit­te die­ser Gebäu­de, den Macon­do­platz. Vor gar nicht lan­ger Zeit war es da noch schmut­zig, alles war vol­ler Gestrüpp und Abfall. Wir haben sau­ber gemacht und mit den Archi­tek­ten eine gro­ße Bank gebaut, aus Holz­pa­let­ten und Beton­plat­ten. Jetzt soll noch ein Brun­nen dazu­kom­men und ein hoher Tisch, an dem man ste­hen und reden kann. Das wird dann unser Dorf­platz, wo man Freun­de tref­fen kann. Wo man redet. Wo man zuhau­se ist.

auf­ge­zeich­net von ES; ver­öf­fent­licht in: Die Zeit, Nr. 42/2016
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