Ich stamme aus Afrin, einem Bezirk im Gouvernement Aleppo. Zu sagen, dass man aus Afrin kommt, bedeutet faktisch, dass man Kurde ist. Nach der Schule habe ich immer gearbeitet. Ich habe meinem Vater geholfen, der mit Oliven und anderen Lebensmitteln gehandelt hat. Vor allem habe ich für meinen Cousin als Baggerfahrer gearbeitet. Mein Onkel hat mit seiner Firma Wasserleitungen gebaut, wir haben die Gräben dafür ausgehoben. Insgesamt gab es in meiner erweiterten Familie 14 Baggerfahrer. Leider wurde das Leben im Lauf der Jahre immer schlechter in Afrin. Am Abend war es besonders gefährlich, man sollte besser um 19.00 zuhause sein. Nachdem zwei meiner Onkel und zwei meiner Cousins getötet worden waren, machte ich mich auf den Weg in die Türkei. Ein paar Wochen später kamen auch meine Eltern und Brüder nach Istanbul; meine beiden Schwestern leben bis heute in Afrin. Zwei Jahre und sechs Monate habe ich in einer türkischen Fabrik gearbeitet, die T‑Shirts produziert. Wir haben die Ware gebügelt und verpackt.
Seit genau einem Jahr und 20 Tagen bin ich jetzt mit meinen Eltern und zwei Brüdern in Wien. Wir leben im Macondo, einer Siedlung für Flüchtlinge in Simmering. Meine Eltern bewohnen mit meinem 15jährigen Bruder die Unterkunft Nummer 27, der andere Bruder wohnt auf 31 und ich bewohne das Zimmer Nummer 6. Vier Tage in der Woche besuche ich einen Deutschkurs, immer für drei Stunden. Den Rest des Tages habe ich nicht viel zu tun. Es ist schwierig, weil alle Leute Arabisch sprechen. Ich möchte aber schnell Deutsch lernen und gehe oft zu Angelika oder zu Jan in den Flüchtlingsdienst der Diakonie, damit ich schneller lerne. Am liebsten würde ich arbeiten. Sobald mein Deutsch gut ist, möchte ich mich zum Baggerfahrer ausbilden lassen.
Gestern habe ich hier einen Mann kennengelernt, der mir die Geschichte von Macondo erzählt hat. Genau vor 60 Jahren kamen die ersten Flüchtlinge auf dieses Gelände, das früher eine Kaserne war. Diese Leute waren aus Ungarn. Den Namen Macondo brachten 20 Jahre später Flüchtlinge aus Chile nach Simmering. Jetzt bauen wir gemeinsam mit einem Team von „Architektur ohne Grenzen“ einen schönen Platz in der Mitte dieser Gebäude, den Macondoplatz. Vor gar nicht langer Zeit war es da noch schmutzig, alles war voller Gestrüpp und Abfall. Wir haben sauber gemacht und mit den Architekten eine große Bank gebaut, aus Holzpaletten und Betonplatten. Jetzt soll noch ein Brunnen dazukommen und ein hoher Tisch, an dem man stehen und reden kann. Das wird dann unser Dorfplatz, wo man Freunde treffen kann. Wo man redet. Wo man zuhause ist.