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Mittwoch, 28. November 2007

Künstler in der Küche

Vratislav Krivak
Der 53jährige Vratislav Krivak lebt als Fotograf, Maler, Dichter, Koch und Wirt in Wien.


Ich male mit Öl und Acryl. Meis­tens gro­ße For­ma­te. Und ger­ne lus­ti­ge Sachen. Nack­te Frau­en mit behaar­tem Schoß. Iro­nisch, ero­tisch, kit­schig. Drei Gemäl­de habe ich ver­kauft. Aber das tut mir heu­te noch so weh als hät­te ich eige­ne Kin­der ver­kauft. Zum Glück muss ich schon lan­ge kei­ne Bil­der mehr her­ge­ben, weil ich wie­der mein Aus­kom­men als Wirt finde.
Zufäl­lig habe ich das Wirts­haus hier in der Nord­pol­stra­ße, am nörd­li­chen Rand des Augar­ten gefun­den. Es ist über 100 Jah­re alt. Wir haben nur wenig umge­baut, aber die Kar­te neu erfun­den. Wir kochen ehr­li­ches Essen, boden­stän­di­ge Küche mit böh­mi­schem Touch – ein Kom­pro­miss zwi­schen den Ansprü­chen einer brei­te­ren Gäs­te­schar und mei­nen eige­nen Vor­stel­lun­gen. Es gibt also auch Ravio­li und diver­se Selch- und Brat­würs­te. Vor allem aber ser­vie­ren wir Fleisch­knö­del, Schopf­bra­ten, Bli­nis, Mohn­nu­deln, Liwan­zen, Powidl­ta­scherl. Wenn jemand nach Sai­son bestel­len will, emp­feh­le ich Grammelknödel.
Ich bin 1979 als Sla­wis­tik-Stu­dent aus der Tsche­cho­slo­wa­kei geflüch­tet. In Öster­reich habe ich mich erst als Haus­bur­sche ver­dingt. Spä­ter erst habe ich an der Hotel­fach­schu­le Küchen­tech­nik gelernt. Mei­ne Koch­küns­te ver­dan­ke ich aber mei­ner Groß­mutter. Sie ist als Mäd­chen zu einer Adels­fa­mi­lie nach Flo­rids­dorf gekom­men, hat ein Leben lang gekocht und sprach akzent­frei­es Wie­ne­risch. Ich habe ihr Koch­buch und dar­in die wirk­lich wich­ti­gen Din­ge gefun­den. Zum Glück kann ich mich auf unser Per­so­nal ver­las­sen. Ein viet­na­me­si­sches Zwil­lings­brü­der­paar macht den Ser­vice. In der Küche ste­hen mei­ne tsche­chi­sche Frau und unse­re ser­bi­sche Sous­che­fin. Die kom­men ohne mich alle gut zurecht. Ich selbst stel­le mich nur mehr an den Herd, wenn jemand Svick­ova bestellt, den Alt-Wie­ner Lun­gen­bra­ten, gespickt und im Gan­zen gebra­ten. Die Wur­zel­rahm­sauce läßt sich nicht ein­fach nach Rezept kochen, da braucht man Erfah­rung und Gefühl.
Böh­mi­sche Küche ist ja immer noch eine Markt­lü­cke. In Wien gibt es wenig gutes böh­mi­sches Essen. In Prag hat die böh­mi­sche Küche zwar einen guten Ruf. Aber wer hin­fährt, um gut zu essen, kommt ent­täuscht zurück. Die Men­schen haben durch das strik­te Regle­ment im Kom­mu­nis­mus das Kochen ver­lernt. Und die jun­gen Köche zieht es heu­te in den bay­ri­schen Wald, wo sie im Gast­haus zur Ver­bo­ge­nen Gabel Cor­don Bleu lernen.
Abends zie­he ich mich früh aus dem Wirts­haus zurück. Ich kann dann in Ruhe mei­ne krea­ti­ve Nei­gung aus­le­ben, also malen oder schrei­ben. In zwei Wochen erscheint mein sechs­ter Gedicht­band in tsche­chi­scher Spra­che. Mei­ne The­men? Lie­be und Tod, was denn sonst?
Vor­mit­tags mache ich Buch­hal­tung, nach­mit­tags gehe ich ein­kau­fen. Am Markt foto­gra­fie­re ich ger­ne – Wie­ner Gesich­ter fas­zi­nie­ren mich. Ich schie­ße die Bil­der meist mit einer klei­nen Lomo aus der Hand. Aus­ar­bei­ten las­se ich sie recht groß auf fei­nem Papier. Dann hän­ge ich sie hier im Wirts­haus auf.

auf­ge­zeich­net von ES; ver­öf­fent­licht in: Die Zeit, Nr. 48/2007
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