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Donnerstag, 10. Oktober 2013

Kompromiss und Werte

Ruth Wodak
Die Sprachsoziologin Ruth Wodak (63) verantwortete zuletzt einen Sammelband über „Right-Wing Populism in Europe“.


Mein Vater war Diplo­mat, daher ver­brach­te ich schon mei­ne Kind­heit in ver­schie­de­nen Län­dern. Sinn­voll erin­nern kann mich an Bel­grad, wo wir bis zu mei­nem neun­ten Lebens­jahr waren. Die vier­te Volks­schul­klas­se in Wien hielt zahl­rei­che Kul­tur­schocks für mich bereit. Es wur­de gleich zu Unter­richts­be­ginn gebe­tet, das kann­te ich nicht. Anstatt mit Blei­stift muss­te ich mit Tin­te schrei­ben. Nach­dem ich die Leh­re­rin selbst­ver­ständ­lich geduzt hat­te, wur­de mei­ne Mut­ter in die Schu­le zitiert – ich sei ein unhöf­li­ches Kind, lau­te­te der Vor­wurf. Erstaunt und auch geschockt war ich über das rege Inter­es­se an Her­kunft und Reli­gi­on. Ich mach­te ers­te Bekannt­schaft mit anti­se­mi­ti­schen Vor­ur­tei­len, die mir bis dahin erspart geblie­ben waren. Heu­te weiß ich, dass mich der frü­he Umgang mit der Frem­de gut auf mein Leben und das Unter­wegs­sein vor­be­rei­tet hat. Ich habe in jun­gen Jah­ren gelernt, mich in eine neue Umge­bung ein­zu­fin­den und dabei das Eige­ne zu erhal­ten. Als Gast­pro­fes­so­rin leb­te ich spä­ter in den USA, in Schwe­den und in Ungarn. Seit fast zehn Jah­ren bin ich in Eng­land, wo ich den Lehr­stuhl für Dis­cour­se Stu­dies an der Lan­cas­ter Uni­ver­si­ty innehabe.
Ganz aktu­ell ist mein jüngs­tes Buch, das in die­sen Tagen bei Bloomsbu­ry erschie­nen ist: „Right-Wing Popu­lism in Euro­pe“, her­aus­ge­ge­ben gemein­sam mit Majid Khos­ra­vi­Nik und Bri­git­te Mral. 2008 hat­te ich die gro­ße Ehre, ein Semes­ter lang den vom schwe­di­schen Par­la­ment gestif­te­ten „Kers­tin Hes­sel­gren Lehr­stuhl“ an der Uni­ver­si­tät von Öre­b­ro zu über­neh­men. Dort konn­ten wir jenen hoch­ka­rä­tig besetz­ten Work­shop orga­ni­sie­ren, aus dem nun die­se Publi­ka­ti­on ent­stan­den ist. Politik‑, Medi­en- und Dis­kurs­wis­sen­schaft­ler, Sozio­lo­gen und His­to­ri­ker ana­ly­sie­ren dar­in die vie­len unter­schied­li­chen rechts­po­pu­lis­ti­schen Bewe­gun­gen in Euro­pa. Die FPÖ sticht im Ver­gleich schon durch ihre gro­ße Gefolg­schaft her­aus. Abge­se­hen von der Front Natio­nal in Frank­reich gibt es euro­pa­weit kei­ne ver­gleich­bar star­ke Par­tei. In Frank­reich ist der Umgang mit die­ser Par­tei ein­deu­tig gere­gelt: auf natio­na­ler Ebe­ne hält man sie sich durch einen cor­don sani­taire vom Leib, man koaliert nicht mit ihr. Das ist inso­fern ange­mes­sen, als es in einer Koali­ti­on dar­um geht, Kom­pro­mis­se zu fin­den. Wenn eine Par­tei prin­zi­pi­el­le Wer­te in Fra­ge stellt, wür­de ein Kom­pro­miss für die ande­re Par­tei bedeu­ten, dass sie die eige­ne Pro­gram­ma­tik in einem Maße anpas­sen muss, das der Selbst­auf­ga­be gleich­kommt. Ich wüss­te daher nicht, war­um etwa eine sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Par­tei bereit sein soll­te, mit der FPÖ zu koalieren.
Vor weni­gen Wochen durf­te ich in Linz die Fest­re­de zur Eröff­nung des Bruck­ner­fes­tes hal­ten. Ich setz­te mich mit der Fra­ge aus­ein­an­der, ob die EU den Frie­dens­no­bel­preis zu Recht erhal­ten hat. Was mich sehr gefreut hat, war der Zwi­schen­ap­plaus an eini­gen wich­ti­gen Stel­len. So war das Publi­kum offen­kun­dig mit mir einer Mei­nung, dass es Öster­reich gut anstün­de, deut­lich mehr als 500 Flücht­lin­ge aus Syri­en aufzunehmen.

auf­ge­zeich­net von ES; ver­öf­fent­licht in: Die Zeit, Nr. 42/2013
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