Ich bin gerne in Istanbul, es gibt nach wie vor viel zu entdecken. Eine Weile möchte ich noch bleiben. Aber mein Mann und ich haben schon eine Liste von Städten im Kopf, in denen wir gerne leben würden. Wir ziehen alle paar Jahre um, aus Neugier. Irgendwann werden wir hoffentlich in Paris leben.
Meine Angst vor Veränderungen habe ich 1998 verloren, in einem Flüchtlingslager in Sarajewo. Ich habe für ein Forschungsprojekt Menschen interviewt, die aus dem Kosovo flüchten mussten. Sie erzählten mir, wie ihre männlichen Verwandten von serbischen Paramilitärs getötet wurden. Sie selbst hatten ihr nacktes Leben retten können. Aber nun waren sie unter schlechten hygienischen Bedingungen in einer aufgelassenen Coca Cola-Fabrik untergebracht. Es war Winter, es gab keine Heizung, nur ein paar Wolldecken auf dem Betonboden. Die Menschen hatten kaum Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer Lebensumstände. Einige Familien hatten Kinder, die in Deutschland aufgewachsen waren. Man hatte sie vor dem Krieg in den Kosovo abgeschoben, von wo sie dann nach Bosnien flüchten mussten. Eine dieser Familien lebte für eine Weile mit uns in Sarajwo, auch über die Weihnachtstage. Eine bewegendere Feier habe ich nie erlebt.
Seither sehe ich die Welt mit anderen Augen. Ich habe gelernt, dass man etwas bewirken kann, wenn man nur will. Vor einem Jahr wäre die türkische Schule meiner Tochter zwei Wochen vor Schulbeginn beinahe wegen Sparmaßnahmen geschlossen worden. Mit anderen Betroffenen habe ich mich auf den Weg zu den Ämtern gemacht. Es schien aussichtslos. Bei einem Treffen musste ich für die anderen Eltern sprechen – viele der Mütter waren schüchtern, die meisten trugen Kopftücher. Es ist uns gelungen, den Istanbuler Gouverneur auf unsere Seite zu bekommen. Und siehe da: Die Schule blieb geöffnet. Inzwischen hat man sogar den alten Kohleofen im Keller durch eine Gasheizung ersetzt.
Als Forscherin beschäftigen mich in der Türkei Frauenthemen: Mädchen auf dem Land, die nicht zur Schule gehen; der niedrige Prozentsatz berufstätiger Frauen; ein Parlament mit weniger als fünf Prozent Frauenanteil. In den drei Jahren, die wir hier leben, habe ich intensiv Türkisch gelernt. Meine drei Töchter, geboren in Wien, Berlin und Istanbul, gehen in die türkische Grundschule und den Kindergarten. Wenn wir mit ihnen durch Anatolien reisen, spielen sie auf den Straßen mit türkischen Kindern. Sie fühlen sich zuhause in der Türkei, so wie wir auch.
Von unserer Wohnung am europäischen Ufer des Bosporus sehen wir Delfinschwärme und den Verkehr der Öltanker und Containerschiffe. Bis in die 80er Jahre gab es da noch Ruderer, die ihre Passagiere für ein paar Lira nach Asien brachten. Heute erledigen das die Fischer mit kleinen Motorbooten.