Ein Leben lang wollte ich Künstlerin sein. Schon als Mädchen habe ich viel gemalt. Ich habe in Budapest die Kunstschule absolviert. Mein Kunststudium habe ich abgebrochen, um zu heiraten und in Wien zu leben. Bis heute habe ich Hemmungen, mich Künstlerin zu nennen. Ich war immer kreativ, hatte immer Ideen, wollte immer wieder Neues schaffen und war mit manchem sehr erfolgreich. Aber ich konnte das nie in Ruhe genießen, weil immer neue Ideen kamen. In den 1980er Jahren habe ich eine Manufaktur für Gürtel und Ledertaschen aufgebaut. Die lief sehr gut. Aber nach einer Weile musste etwas Neues her. Als mein Mann erkrankte, übernahm ich sein Geschäft. Da habe ich Jahre lang Sünden abgebüßt, weil ich kaum Ahnung von dem hatte, was zu tun war. Als ich nach 17 Jahren damit fertig war ohne einen Scherbenhaufen zu hinterlassen, war ich stolz. Wieder hatte ich aus einer Situation, die unmöglich schien, etwas gemacht. Meine Kreativität fokussierte ich über die Jahre aber auf meinen eigentlichen Job, den Aufbau und Betrieb meines Studios, das Konzepte und Designs für Lokale und Büros entwickelt.
Die Malerei ist mir neben alldem aber immer geblieben. Mein Thema sind Menschen und Situationen, die ich beobachte. Die jüngste Arbeit – ACHT UND NEUNZIG SEITEN – fasst zusammen, was ich ein Leben lang in mir trage. Ich habe mich immer gefragt, woher mein Lebensgefühl kommt, woher meine Ängste rühren. Erst spät wurde mir klar, was ich alles von meinen Eltern mitbekommen habe. Sie haben beide den Holocaust überlebt. Zehn Jahre später kam ich zur Welt. Wie konnte man damals überhaupt Kinder auf die Welt bringen? Wir, die erste Generation der nach dem Krieg Geborenen, haben wohl alle einen schweren Schuss. Wir alle – ob Kinder von Opfern oder von Tätern – kennen ja die schrecklichen Bilder. Wie leer müsste man sein, dass einen das nicht prägt? Meine Mutter war in Auschwitz. Ihr Weg zurück in die Heimat dauerte sieben Monate. In dieser Zeit schrieb sie Tagebuch. 98 Seiten. Mit Bleistift. Nach ihrem Tod 2007 habe ich begonnen, das zu entziffern. Die Schrift war verblasst. Ich musste Kopien machen, die Kontraste betonen, die Schrift mit einem Stift nachziehen. So lernte ich diese Person, die ich gut zu kennen glaubte, besser kennen. 2012 habe ich begonnen, ihre Geschichte zu malen. Ich hatte Fotos entdeckt, die 1943 entstanden waren, vor der Deportation also, als sie in Budapest ihr modänes Leben gelebt hat. Sie war belesen. Kunststudentin. Sehr elegant. Sehr speziell. Das habe ich in Farbe und in großen Formaten umgesetzt. Schnell. Grobe Pinselstriche.
Das ist das Schönste. Ich beginne mit dunklen Farben. Dicke, schwarze Striche. Die Komposition steht in zwei Minuten. Dann gehe ich drüber, decke das Dunkle ab. Jede Schicht bleibt wichtig, jeder Layer spielt eine Rolle. Wie in unserem Leben. Meine Mutter erzählte nicht und ich stellte nie Fragen. Heute weiß ich, dass ihr Schicksal Teil meines Lebens ist. Ich sehe, dass mich der Holocaust einholt. Jetzt mit sechzig sehe ich klar. Jetzt weiß ich, was ich will. Ich weiß, dass die Malerei das Wichtigste für mich ist.