Mariam Wagialla, Architektin und Raumplanerin, musste mit ihrer Familie aus dem Sudan flüchten und lebt heute in der Steiermark.
Ich ging am 10. November 2011 mit meinen drei Söhnen aus Karthoum weg. Als leitende Raumplanerin in der Stadtverwaltung hatte ich versucht, Korruption aufzudecken, und war dadurch mit meiner Familie in Lebensgefahr geraten. Die Stadt ist riesig. Immer mehr Arme haben immer weniger Platz, das fruchtbare Land am Nil wird an reiche Araber aus den Golfstaaten verkauft. Dabei verschwinden gigantische Summen in den Taschen einer korrupten Elite. Hätte ich bei diesen Deals mitgemacht, könnte ich heute mit meiner Familie in Dubai, in Malaysien oder sogar in Europa leben – und zwar mit Geld, ohne Asyl. Ich habe der Gerechtigkeit wegen aber den schweren Weg gewählt – so wie ich das von meiner Mutter gelernt habe. Sie hätte ihre Töchter verheiraten und dafür viel Geld bekommen können. Sie wollte aber, dass wir studieren können und hat dafür hart gearbeitet. Jedenfalls kamen wir am 23. Dezember 2011 in Traiskirchen an und wurden eine Woche später in die Steiermark geschickt. Man kann sich als Asylwerber nicht aussuchen, wo man hinkommt. In Pinggau war Platz für uns.
Als ich am 3. Jänner 2012 dort den ersten Wintersonnenuntergang erlebte, war ich deprimiert und tief traurig. Es war einer der schlimmsten Tage meines Lebens. Mein Mann war noch im Sudan und wir waren hier alleine, Fremde unter Fremden. Mit meinen drei Kindern kam ich gerade aus dem Supermarkt, wo wir die ersten Lebensmittel eingekauft hatten. Bei eisigen Temperaturen kämpften wir uns mit schweren Taschen den Berg hinauf. In diesem Moment der völligen Verzweiflung sprach uns eine Frau an, Ulli.
Das war der Beginn einer besonderen Beziehung. Seither haben uns viele Menschen geholfen. Im Omega Frauen Café. Im Deutschkurs. In den Schulen. Philosophen sagen, dass der Moment der tiefsten Verzweiflung eine Umkehr zum Guten bringt. Für mich war die Begegnung mit Ulli ein Licht der Hoffnung.
Nach dreieinhalb Jahren in der Flüchtlingsunterkunft haben wir Asyl bekommen und nun auch eine eigene Wohnung in Pinggau bezogen. Mein Mann lebt inzwischen bei uns. Unsere Söhne sind 15, 13 und neun Jahre alt. Omer, der älteste, fährt jeden Tag nach Pinkafeld in die HTL. Er will auch Architekt werden. Ich habe meine Deutschkurse abgeschlossen und schreibe an der Universität für Bodenkultur in Wien meine Doktorarbeit in Landschaftsplanung. Am Beispiel Karthum zeige ich, wie eine Stadt zu entwickeln wäre damit sie für alle – für Arme und Reiche, für Frauen und Männer, für Kinder und Alte – lebenswert und fair ist. Mein Vergleichsmaßstab ist Wien, eine Stadt, die diesem Ideal sehr nahe kommt. Karthum ist defakto in Klassen unterteilt. Wenn man in der 1. Klasse wohnt, dann hat man alles: Straßen, Elektrizität, Wasser, Infrastruktur. Wer sich nur ein Leben dritter Klasse leisten kann, haust in einer notdürftig zusammengestückelten Hütte. Es gibt also genug zu tun für mich, wenn wir eines Tages wieder nach Karthum zurück können.