In Berlin (West) aufwachsend konnte ich darauf setzen, dass Wehr- oder Zivildienst für mich kein Thema werden. Mit der deutschen Wiedervereinigung war die zugrundeliegende Regelung aber plötzlich obsolet: mein Jahrgang wurde in einer ehemaligen DDR-Kaserne bei Potsdam gemustert. In der Folge war ich unter den ersten aus Berlin (West), die in den sauren Apfel beißen mussten. Ich machte also Zivildienst, verlor darüber meinen Studienplatz in Freiburg und begann schließlich ein Studium an der FU Berlin. Das Bedürfnis, endlich aus der Stadt rauszukommen, wurde nach dem Grundstudium übermächtig. Und da an der Beratungsstelle für Auslandsstudien Wien günstig im Angebot war, zog ich 1996 los.
Ich hatte mich im Germanistikstudium mit Musils „Mann ohne Eigenschaften“, in Kunstgeschichte mit der Ringstraße und in Geschichte mit den Habsburgern beschäftigt. Staatsoper, Burgtheater und Musikverein hatten mich längst schon in ihren Bann gezogen. So hatte sich also eins ins andere gefügt. Aus dem Studium kam ich über meine Diplomarbeit zur Historikerkommission, forschte über Eichmann und die Vertreibung und Beraubung der österreichischen Juden. In meiner Dissertation zur nationalsozialistischen „Gedächtnispolitik“ stellte ich die These in Frage, dass die Nazis das Gedächtnis an das Judentum auslöschen wollten. Sie waren vielmehr auf das Gegenteil erpicht: wie würde man sonst den Enkeln dereinst erklären können, warum man die Juden ermordet hat? Nachdem ich mich in meiner Habilitation noch wissenschaftshistorisch mit dem „Dritten Reich“ beschäftigt hatte, waren Nationalsozialismus und Holocaust für mich als Forscher erstmal abgearbeitet. In der Lehre kümmere ich mich um diese Themen am Innsbrucker Institut für Zeitgeschichte, das ich seit 2010 leite, heute noch. Ansonsten konzentriere ich mich inzwischen auf die Geschichte Österreichs als Migrationsgesellschaft. In der Zeitgeschichte sind wir verpflichtet, heiße Themen anzugehen. Und das sind Migration und die durch sie bedingten Transformationen unserer Gesellschaft zweifelsohne.
Bei all meinen Themen taucht irgendwann die Frage nach der eigenen Identität auf. Als ich in den USA jüdische Geschichte unterrichtete, wurde diskutiert, ob ich jüdisch sei oder nicht, weil Jewish Studies eben von Juden betrieben werden. Jetzt ist es ähnlich: bin ich als Deutscher in Österreich migrantisch hinreichend legitimiert, um über Migration zu forschen? Ich habe offenbar ein Händchen dafür, mich zwischen die Stühle zu setzen. Aber zugleich ist das das Spannende: man wird herausgefordert, eine eigene Position zu formulieren. Das ist gerade für den Deutschen in Österreich eine Herausforderung. Wie kompliziert das gegenseitige Verhältnis ist, unterschätzen viele Deutschen ja leicht: indem sie hier so einmarschieren, wie sie das habituell eben tun, fühlen sich die Österreicher zu recht nicht ernst genommen. Als Deutscher hier zu leben führt nicht zu Rassismuserfahrungen, wie sie andere Menschen in Österreich täglich machen. Aber es ist schon auch schmerzhaft, wenn man etwa am Würstelstand bei der Bestellung der geliebten Käsekrainer von der versammelten Gästeschar ob seines Akzents vorgeführt wird. So gesehen ist hier noch viel zu tun: Österreich ist längst eine plurale und diverse Gesellschaft – ein Faktum, das im Bewusstsein vieler Menschen und im Alltag des Politikbetriebes nicht hinreichend verankert ist.