Wer in Griechenland lebt, hört schon morgens im Radio die Spendenaufrufe. Es fehlt an allem. Besonders rar sind Medikamente. Infolge der Sparmaßnahmen wurden Krankenhäuser geschlossen, ein Drittel der Griechen hat keine Krankenversicherung. Als mein Sohn eine simple Diptherie-Tetanus-Impfung brauchte, musste ich vier Wochen lang danach suchen. Unter Jugendlichen liegt die Arbeitslosenrate bei 65 Prozent. Seit Jahren wird überall gespart, besonders hart ist im Sozial- und Bildungsbereich. Zu dieser humanitären Katastrophe kommt nun die Flüchtlingskrise. Dass in dieser Situation nun gerade die österreichische Bundesregierung eine Vorreiterrolle für die Abschottungspolitik spielt, empörte mich ebenso und sehr viele hier lebende Auslandsösterreicher.
Also habe ich, gemeinsam mit Kollegen, einen offenen Brief an die Regierung formuliert: „Die an Syrien angrenzenden Staaten zeigen eine beispielhafte Solidarität. Angesichts der Tatsache, wie viele Millionen Flüchtlinge sich in diesen Ländern, die um vieles ärmer sind als Österreich, in ihrer Not angesammelt haben, ist es beschämend, wenn von Seiten Österreichs behauptet wird, unser Land nehme mehr Menschen auf als die meisten anderen Länder. Der Blick vom Süden Europas auf die Flüchtlingssituation attestiert der österreichischen Bundesregierung leider eine völlige Fehleinschätzung der Fakten.“ Unterzeichnet war dieser Brief von vielen Österreichern, die in Griechenland leben. Eine Antwort haben wir bisher nicht bekommen.
Ich lebe seit mehr als 20 Jahren in Athen und unterrichte hier an der Deutschen Schule Geschichte, Sozialkunde und ökumenische Religion. Mein Mann ist Grieche und arbeitet als Jurist im Gesundheitsministerium. Wir pflegen eine bikulturelle Ehe, unsere beiden Kinder sind in einem weltoffenen Geist, dreisprachig, multinational und überkonfessionell erzogen worden. Als moderne Europäer fühlen sie sich sowohl als Österreicher, als Griechen sowie als Deutsche. Unsere Schule hier ist ebenso identitätsstiftend wie zahlreiche Ferienaufenthalte und der familiäre Bezug.
Die herzliche Gastfreundschaft der Griechen hat mich nie spüren lassen, dass ich eine Fremde in diesem Land bin – obwohl meine Schwiegereltern Grund dazu gehabt hätten. Beide haben im 2. Weltkrieg unter der Willkür und Gewalt der deutschen Besatzung gelitten. Meine Schwiegermutter hat ihren jüngeren Bruder und einige Männer ihres Dorfes vor einem Erschießungskommando gerettet. Dass man sich an der wehrlosen Zivilbevölkerung durch grausame Verbrechen schuldig gemacht hat, wurde in Deutschland und Österreich allzu gerne vergessen. Bis heute werden die Verbrechen österreichischer Wehrmachtssoldaten in Kalavrytra in keinem österreichischen Schulbuch erwähnt. Mit meinen Schülern bin ich jedes Jahr in Distomo, der bekanntesten der Märtyrergemeinden zu Gast. Gemeinsam mit griechischen Schülern arbeiten sie dort in Begegnungsprojekten die Vergangenheit auf. Zuletzt entstand dabei das Theaterstück „Kinder des Krieges“, eine eindrucksvolle Mahnung, dass Kinder und junge Menschen ein Recht darauf haben, in Frieden, Sicherheit und Menschenwürde zu leben. Genau dieses Recht wird an Stacheldrahtzäunen und geschlossenen Grenzen heute mit Füßen getreten.
In diesem Kontext klingt es besonders zynisch, unfair und arrogant, wenn der Außenminister der Republik Österreich die Aufnahme und Versorgung der Flüchtlinge im vergangenen Jahr selbstgefällig als eigenständige österreichische Leistung hervorhebt und Griechenland dabei abkanzelt. Im Gegensatz zu Griechenland befindet sich Österreich eben nicht in einer humanitären Krise. Dem immensen Leidensdruck zum Trotz zeigt sich die griechische Bevölkerung jedoch hilfsbereit und großzügig. 50.000 Flüchtlinge sind schon im Land, täglich werden es mehr. All das erinnert viele Griechen an das Leid ihrer eigenen Angehörigen im Zweiten Weltkrieg. Für die Politik, mit der Österreich in dieser Situation die Balkanstaaten unter Druck setzt, muss man sich angesichts all dessen schämen.