Der Lebensweg führt ja immer wieder über Kreuzungen und zu Abzweigungen. Man hält inne, biegt ab. Man macht Umwege, sucht Abkürzungen. Aber nur einmal wurde ich so nachhaltig aus meiner Bahn geworfen wie in der ersten Juliwoche 1988. Es muss ein Donnerstag gewesen sein, meine Tochter sollte am nächsten Tag ihr erstes Volksschulzeugnis nach Hause bringen. Ich war damals Co-Chefredakteur von Basta, einem jungen, frechen Monatsmagazin. Für den Wiener arbeiteten die Coolen, beim profil waren die Aufrechten am Werk. Wir von Basta galten als die Ungewaschenen, wir machten Boulevard.
Trashig, mutig und manchmal ein bisschen daneben. Wir pausierten damals immer für einen Monat im Sommer. Daher sollte an diesem heißen Donnerstag der „inner circle“ noch einmal tagen, Bilanz und Perspektive waren die Themen.
Ich war völlig unvorbereitet, als die Kollegen mich ultimativ zum Rücktritt aufforderten. Die Stimmung war aggressiv, bald kam Alkohol ins Spiel. Und spätnachts landeten wir, tief ineinander verbissen, in einer Szenekneipe. Ich trat natürlich nicht zurück, wissend, dass der Mob machtlos ist. Und so wurde der Putsch reblausmäßig weggeblasen. Am nächsten Tag begannen die Schul- und Basta-Ferien. Wir gingen auseinander.
Was mir die Putschisten vorwarfen, erinnere ich nicht mehr. Zu uncool? Zu unfreundlich? Keine Ahnung. Nach der Sommerpause blieb scheinbar alles beim Alten. Wir machten in unserem wackligen Büro das Blatt. Der Kulturredakteur promotete weiterhin kleinbrüstige Debütantinnen, der Chronikredakteur berichtete von seiner Fettabsaugung. Aber ich war verwundet, geschwächt, enttäuscht.
Kollegen, die ich als Freunde missverstanden hatte, hatten mir ihr Killergesicht gezeigt. Sie hatten mir Angst gemacht. Als mich ein paar Monate später Markus Peichl fragte, ob ich nach Hamburg zu Tempo wechseln wollte, nahm ich erleichtert an.
Inzwischen habe ich meinen Traumjob gefunden: Ich bin der Chefredakteur von Deutschlands ältester Boulevardzeitung, der B.Z. Das Blatt ist etwas Besonderes. Sehr echt, sehr nah dran. Heiß, frech, frei von Zynismus. The sound of Berlin. Ich bin nicht froh, aus Wien weg zu sein, aber doch froh, dort zu sein, wo ich bin. Ich wohne in Berlin-Mitte. Unten quietscht die gelbe Ossistraßenbahn vorbei. Drei Häuser weiter lebt mein Stellvertreter und Freund Peter Huth, gegenüber Inga Grömminger, die beste Klatschreporterin der Stadt. So bilden wir ein kleines B.Z.-Dorf in Mitte. Meist fahren wir gemeinsam in die Redaktion zum Kudamm. Entweder in Ingas Golf, dann muss man die Spider Murphy Gang ertragen. Oder eben mit der S‑Bahn.