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Montag, 21. Oktober 2013

Auslenderfrojndlih!

Goran Novaković
Goran Novaković, 51, bringt die deutsche Sprache jenen näher, die sie noch nicht sprechen.


Seit über 20 Jah­ren unter­rich­te ich an der Volks­hoch­schu­le BKMS, Bos­nisch-Kroa­tisch-Mon­te­ne­gri­nisch-Ser­bisch. Seit 20 Jah­ren enga­gie­re ich mich im Bereich Inte­gra­ti­on. Und fast eben­so lan­ge mische ich mich mit mei­nen Pro­jek­ten hier in Wien ein. Mit mei­nem Label vajtund​brajt​.com ver­su­che ich, die Ver­schrift­li­chung der Ver­mischt­heit ins Stadt­bild zu brin­gen. Ich las­se T‑Shirts pro­du­zie­ren und Ein­kaufs­ta­schen, die mein Pro­gramm jeweils in einem Wort trans­por­tie­ren. Feš. Ferš­tend­nis­fol. Ojforiš.
Das kann man als mei­nen Drang zum frem­den Klang ver­ste­hen. Man kann aber auch ganz prak­tisch dar­über nach­den­ken, wie Men­schen Spra­chen ler­nen. Am ein­fachs­ten doch wohl über ihre Mut­ter­schrift, mit den Zei­chen also, die sie ken­nen. Wenn ich etwa den Tür­ken oder den Ex-Jugos in Öster­reich hel­fen will, mög­lichst schnell die deut­sche Spra­che zu ler­nen, muss ich die deut­schen Tex­te in Über­ein­stim­mung mit den Lese­re­geln und den Klang­mus­tern in deren Laut­schrift über­tra­gen. Und schon kön­nen die­se Men­schen Tex­te von Rai­ner Maria Ril­ke flüs­sig lesen: Es moh­te veni­ger als ajn Ja:r her zajn, als i:m im Gar­ten des Šlo­ses, der zih den Hang cim­lih šta­jl cum Mer hin­un­ter­cog, etvas Vun­der­li­hes viderfu:r.
Wie ein­fach das alles ist, zei­ge ich ger­ne am Wort Tsche­tsche­nisch. Das sind 15 Buch­sta­ben, von denen nur sie­ben aus­ge­spro­chen wer­den. Wir haben dabei also 50 Pro­zent Buch­sta­ben­in­fla­ti­on. Für Nichts und wie­der nichts. Es geht doch auch so: Čeče­niš für die Jugos. Und Çeçe­niş für die Tür­ken. Doj­çe Şpra­he, şve­re Şprahe!
Das ist natür­lich kein Angriff auf das Deut­sche. Auch wenn mir das von der Kro­nen Zei­tung und irgend­wel­chen Rechts­ra­di­ka­len gele­gent­lich vor­ge­wor­fen wird. Ganz im Gegen­teil: ich lie­be die­se Spra­che mehr als mein Augen­licht und möch­te daher errei­chen, dass die Hür­de, sie zu erler­nen, nied­ri­ger wird. Ih ge:e in di: Şule. Die­sen Satz kann jede ost­ana­to­li­sche Braut aus­spre­chen. Und zwar şnel und rih­tig. Und sobald sie sich halb­wegs ori­en­tiert hat, kann sie immer noch ganz kor­rekt Deutsch lernen.
Als ich vor rund 22 Jah­ren aus Bel­grad nach Wien fuhr, dach­te ich, das sei ein­fach eine ande­re Groß­stadt am glei­chen Fluß, nur eben 660 Kilo­me­ter wei­ter. Als ich ankam, war ich irgend­wie ent­täuscht. Ich hat­te eine Groß­stadt erwar­tet, Offen­heit, Flair. Inzwi­schen hat die Stadt Flair bekom­men – und zwar durch die vie­len Aus­län­der, die heu­te hier zuhau­se sind. Es ist aber erstaun­lich, wie wenig man sich etwa in der Kul­tur­pro­duk­ti­on um die­se bikul­tu­rel­len Wesen küm­mert. Wenn ich die­sen Men­schen im Bus zuhö­re wie sie reden, fra­ge ich mich, war­um das nicht in der Lite­ra­tur auf­ge­nom­men wird, war­um es kaum gemischt­spra­chi­ge Bücher gibt. In die­sem Sin­ne soll­ten wir alle offen­siv aus­len­der­fro­jnd­lich wer­den. Ich träu­me davon, dass irgend­wann ein­mal ein Mensch auf der Büh­ne des Burg­thea­ters steht, der kein Wort Deutsch kann und dem fei­nen Publi­kum dort Kaf­ka und Goe­the und Tra­kl vor­liest. Wenn die­ser Traum wahr gewor­den ist, dann kann ich mich beru­higt dem nächs­ten Pro­jekt widmen.

auf­ge­zeich­net von ES; ver­öf­fent­licht in: Die Zeit, Nr. 43/2013
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