Seit über 20 Jahren unterrichte ich an der Volkshochschule BKMS, Bosnisch-Kroatisch-Montenegrinisch-Serbisch. Seit 20 Jahren engagiere ich mich im Bereich Integration. Und fast ebenso lange mische ich mich mit meinen Projekten hier in Wien ein. Mit meinem Label vajtundbrajt.com versuche ich, die Verschriftlichung der Vermischtheit ins Stadtbild zu bringen. Ich lasse T‑Shirts produzieren und Einkaufstaschen, die mein Programm jeweils in einem Wort transportieren. Feš. Ferštendnisfol. Ojforiš.
Das kann man als meinen Drang zum fremden Klang verstehen. Man kann aber auch ganz praktisch darüber nachdenken, wie Menschen Sprachen lernen. Am einfachsten doch wohl über ihre Mutterschrift, mit den Zeichen also, die sie kennen. Wenn ich etwa den Türken oder den Ex-Jugos in Österreich helfen will, möglichst schnell die deutsche Sprache zu lernen, muss ich die deutschen Texte in Übereinstimmung mit den Leseregeln und den Klangmustern in deren Lautschrift übertragen. Und schon können diese Menschen Texte von Rainer Maria Rilke flüssig lesen: Es mohte veniger als ajn Ja:r her zajn, als i:m im Garten des Šloses, der zih den Hang cimlih štajl cum Mer hinuntercog, etvas Vunderlihes viderfu:r.
Wie einfach das alles ist, zeige ich gerne am Wort Tschetschenisch. Das sind 15 Buchstaben, von denen nur sieben ausgesprochen werden. Wir haben dabei also 50 Prozent Buchstabeninflation. Für Nichts und wieder nichts. Es geht doch auch so: Čečeniš für die Jugos. Und Çeçeniş für die Türken. Dojçe Şprahe, şvere Şprahe!
Das ist natürlich kein Angriff auf das Deutsche. Auch wenn mir das von der Kronen Zeitung und irgendwelchen Rechtsradikalen gelegentlich vorgeworfen wird. Ganz im Gegenteil: ich liebe diese Sprache mehr als mein Augenlicht und möchte daher erreichen, dass die Hürde, sie zu erlernen, niedriger wird. Ih ge:e in di: Şule. Diesen Satz kann jede ostanatolische Braut aussprechen. Und zwar şnel und rihtig. Und sobald sie sich halbwegs orientiert hat, kann sie immer noch ganz korrekt Deutsch lernen.
Als ich vor rund 22 Jahren aus Belgrad nach Wien fuhr, dachte ich, das sei einfach eine andere Großstadt am gleichen Fluß, nur eben 660 Kilometer weiter. Als ich ankam, war ich irgendwie enttäuscht. Ich hatte eine Großstadt erwartet, Offenheit, Flair. Inzwischen hat die Stadt Flair bekommen – und zwar durch die vielen Ausländer, die heute hier zuhause sind. Es ist aber erstaunlich, wie wenig man sich etwa in der Kulturproduktion um diese bikulturellen Wesen kümmert. Wenn ich diesen Menschen im Bus zuhöre wie sie reden, frage ich mich, warum das nicht in der Literatur aufgenommen wird, warum es kaum gemischtsprachige Bücher gibt. In diesem Sinne sollten wir alle offensiv auslenderfrojndlich werden. Ich träume davon, dass irgendwann einmal ein Mensch auf der Bühne des Burgtheaters steht, der kein Wort Deutsch kann und dem feinen Publikum dort Kafka und Goethe und Trakl vorliest. Wenn dieser Traum wahr geworden ist, dann kann ich mich beruhigt dem nächsten Projekt widmen.