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Montag, 23. April 2007

Die Kunst, Nein sagen zu können

Andreas Baumann
Andreas Baumann, 44, ist eigentlich Lehrer, war Werbetexter und Künstler. Heute vermittelt er als Finanzberater Hypothekarkredite und Lebensversicherungen.


Was ich kann, habe ich mir groß­teils selbst bei­gebracht. Aus­ge­bil­det wur­de ich in Bern als Volks­schul­leh­rer. Aber danach habe ich immer dazu gelernt. Erst war ich Wer­be­tex­ter. Bei GGK in Basel. Bei Publi­cis in Zürich. Dann bei Lin­tas in Wien. Auf Dau­er war das nichts für mich: Die Bran­che ist zu auf­ge­dreht. Daher bin ich Künst­ler gewor­den. Gemein­sam mit Eva Wohl­ge­muth war ich 1997 sogar bei der docu­men­ta X in Kas­sel. Trotz­dem hat mich die Kunst nie ernährt. Ich muss­te stets neben­her arbei­ten. Meist war ich Kell­ner. Mit 40 hat­te ich das end­gül­tig satt. Ich woll­te etwas Anstän­di­ges, etwas Seriö­ses machen. Ich woll­te pro­fes­sio­nell ver­kau­fen lernen.
Und so bin ich in das nächst­ge­le­ge­ne Büro des Ver­si­che­rungs­kon­zerns Uni­qa gegan­gen: „Guten Tag, ich möch­te für Sie arbei­ten.“ Ich wur­de weg­ge­schickt. Und ich bin wie­der­ge­kom­men. Immer wie­der. Hart­nä­ckig. Ich habe so oft nach­ge­fragt, bis ich einen Dienst­ver­trag als Außen­dienst­mit­ar­bei­ter in der Tasche hat­te. Die Uni­qa hat mir alle nöti­gen Schu­lun­gen ange­dei­hen las­sen. Und hat mich an die Donau-Uni Krems geschickt, wo ich zum Finanz­be­ra­ter aus­ge­bil­det wurde.
Seit sechs Jah­ren ver­kau­fe ich. Bei jedem, den ich tref­fe, erkun­di­ge ich mich, ob er mit sei­nen Ver­si­che­run­gen zufrie­den ist, ob ich ihm hel­fen kann, Geld zu spa­ren. Wenn einer nein sagt, las­se ich es gut sein. Wenn er aber her­umei­ert, höre ich nicht auf. Es ist inter­es­sant, dass vie­le Men­schen nicht Nein sagen kön­nen. Die haben Angst, dass sie nicht mehr geliebt wer­den. Dabei ist gera­de das ja eine Vor­aus­set­zung für Frei­heit: dass man nicht glaubt, von jeder­mann geliebt wer­den zu müs­sen. Nur wer auto­nom ist, kann frei sein.
Mei­ne Kern­kund­schaft sind Frei­be­ruf­ler. Künst­ler, Archi­tek­ten, Gra­fi­ker. Das sind ten­den­zi­ell hoch­schwel­li­ge Kun­den, skep­tisch bis zuletzt. Die wol­len die Sache im Detail erklärt haben. Dafür ver­ges­sen sie alles wie­der sehr schnell. Ich ler­ne Men­schen dabei sehr per­sön­lich ken­nen. Erfah­re vie­les über ihre Ängs­te, ihre Sor­gen. Und auch dar­über, was ihnen kei­ne Sor­gen macht, aber Sor­gen machen sollte.
Neben­her mache ich Kunst am Bau. Ich arbei­te mit Archi­tek­ten und stat­te deren Bau­ten mit ange­wand­ter, deko­ra­ti­ver Kunst aus. Bei einem Wein­viert­ler Win­zer habe ich im Ver­kos­tungs­raum mei­ne Spu­ren hin­ter­las­sen. Für einen Anwalt habe ich ein rie­sen­haf­tes Schrank­mons­ter künst­le­risch gestal­tet. Bei einem Hotel­pro­jekt arbei­te ich an Tex­til­kon­zep­ten für die Rol­lo- und Blen­den­sys­te­me. Außer­dem betrei­be ich eine klei­ne Tausch­platt­form. Dort wur­de ein alter­na­ti­ve Wirt­schafts­kreis­lauf in Gang gebracht, wo die Men­schen ohne Geld han­deln. Also Ware gegen Ware, Dienst­leis­tung gegen Dienst­leis­tung, Ware gegen Dienstleistung.
Das Aus­üben all die­ser unter­schied­li­chen Beru­fe spart mir viel Zeit: Ich arbei­te in jedem Beruf weni­ger, dafür aber viel konzentrierter.

auf­ge­zeich­net von ES; ver­öf­fent­licht in: Die Zeit, Nr. 18/2007
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