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Mittwoch, 21. Februar 2007

Der Sohn des Löwen

Keba Cissokho, 41, entstammt einer Griot-Familie, den traditionellen Troubadouren Westafrikas. Er spielt Kora, die afrikanische Harfe, und darauf mitunter auch Mozarts „Kleine Nachtmusik“.
Zuletzt geändert am 9. Dezember 2023
Keba Cissokho


Mein Vater war der König der Gri­ot, der König der Kora. Und ich bin sein Sohn, der Sohn des Löwen. Die Kora ist mei­ne Lie­be. Sie ist die Mut­ter aller Har­fen. Mit ihr ver­brin­ge ich mei­ne Zeit. Sie trös­tet mich. Zuhau­se habe ich in jedem Zim­mer eine Kora ste­hen, im Schlaf­zim­mer, im Wohn­zim­mer, in der Küche.
Eigent­lich hat das Instru­ment 21 Sai­ten. Mei­ne Kora hat 22, eine mehr für den Bass. Ich baue sie selbst aus einer getrock­ne­ten Kür­bis­hälf­te, bespan­ne sie mit Gazel­len­haut oder mit der Haut einer wei­ßen Kuh. Für den Hals neh­me ich einen dicken Holz­stock. Und die Sai­ten hole ich im Ang­ler­ge­schäft. Für eine dicke Sai­te flech­te ich zwei oder drei Angel­schnü­re inein­an­der. Gestimmt wird die Kora nach der Ton­lei­ter. Hören Sie nur, wie schön sie klingt wenn ich dazu sin­ge: Fama deng­ke kana kasi, das heißt „Sohn des Löwen, Du darfst nicht weinen“.
Frü­her ein­mal waren die Gri­ots wich­tig. Sie haben Geschich­ten erzählt, sie waren Afri­kas Biblio­the­ken. Und sie haben ihre Köni­ge bera­ten. Mein Groß­va­ter hat sei­nem König noch gesagt, was im Krieg zu tun ist. Aber heu­te ist es für einen Gri­ot schwie­rig gewor­den. In Afri­ka. Und in Wien. Nie­mand inter­es­siert sich mehr für uns.
Schau­en Sie nur, was ich mache: Als Gri­ot ver­die­ne ich mir ein paar Euro, indem ich für das Bun­des­asyl­amt dol­met­sche. Flücht­lin­ge, die aus dem Sene­gal, aus Mali, aus Gam­bia kom­men, die spre­chen Man­din­go. Und das ver­steht hier kaum jemand. Manch­mal brau­chen auch die slo­wa­ki­schen Behör­den einen Dol­met­scher, dann muss ich nach Bra­tis­la­va. Sonst gibt es nichts zu tun für mich. Beim Arbeits­markt­ser­vice wol­len sie, dass ich wie­der in der Küche arbei­te. Aber das kann ich nicht mehr. Mei­ne Hän­de … Ich bin Musi­ker … Schau­en Sie die­se Nar­ben hier an, die habe ich mir in einem Wie­ner­wald-Restau­rant geholt. Mit sol­chen Schnit­ten kann man kei­ne Musik machen.
Seit 1997 bin ich in Wien. In den ers­ten Jah­ren habe ich in allen gro­ßen Sälen gespielt. Im Kon­zert­haus. In der Stadt­hal­le. In den Sofi­en­sä­len. Doch jetzt habe ich schon lan­ge kei­ne Enga­ge­ment bekom­men. Was soll ich denn tun? Ich kann doch nicht zur Poli­zei gehen und um eine Geneh­mi­gung als Stra­ßen­mu­si­ker bit­ten. Wie sieht das denn aus?
Ich träu­me immer, dass wir alle ein­mal zusam­men in Wien spie­len kön­nen, eine Jam-Ses­si­on mit mei­nen Brü­dern. Sie leben auch in Euro­pa. Einer in Bor­deaux, einer in Hel­sin­ki, ein drit­ter in Bar­ce­lo­na, einer in Lau­sanne, einer in Paris. Wir könn­ten Musik machen, alle zusam­men. Die Öster­rei­cher haben die Kora doch gern, sie klingt gut in ihren Ohren.

auf­ge­zeich­net von ES; ver­öf­fent­licht in: Die Zeit, Nr. 15/2006
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