Am 19. November 1999 kam ich nach Wien. Ich konnte kein Wort Deutsch. Von meinem sechsten Lebensjahr an hatte ich in Shkodra Geigenunterricht bekommen, streng nach der russischen Methode: Bei Fehlern wirst Du geschlagen, Dein Spiel wird aggressiv. Du bist nicht leidenschaftlich, funktionierst wie ein Motor, spielst saubere Töne. Nach zehn Jahren konnte ich nicht mehr. Meine Schwester Mira, die schon in Wien war, hat mich schließlich überzeugt, es hier von neuem zu versuchen.
Vom ersten Tag an war mir Wien ein Zuhause. Die Musik hat mich begeistert: Ludwig Hirsch, Ambros, Fendrich. Die Albaner sind heißblütiger, aber ihr Humor ist dem der Wiener sehr ähnlich. Kaisermühlen Blues, MA 2412 und „Ein echter Wiener geht nicht unter“ – das Fernsehen war mein erster Deutschkurs.
In nur drei Jahren konnte ich am Konservatorium für Klassik und Darstellende Kunst mein Diplom als Geigerin machen. Weil ich keine EU-Bürgerin bin, lassen mich viele Orchester aber nicht einmal Probespielen. Da habe ich mich gefreut, als mir der Direktor des Konservatoriums im Frühsommer Herrn Kafka vorgestellt hat: Peter Kafka, so hieß es, sei Countertenor und Intendant und auf der Suche nach einem Orchester. Geld, sagte Kafka, sei kein Problem, nur die Zeit sei knapp: In wenigen Wochen müssten wir die 25 schönsten Arien aus Opern von Gluck bis Wagner einspielen. Erst sollten wir zu den Salzburger Festspielen auftreten. Schließlich stand das Palais Schwarzenberg in Wien auf dem Programm: Am 3. August sollte dort unser erster Auftritt über die Bühne gehen.
Als Konzertmeisterin habe ich für Herrn Kafka ein klassisches Orchester aufgestellt. Ich habe Proben organisiert, Pulte geschleppt und war Bindeglied zwischen Intendant und Orchester. Zwei Monate lang lief alles über mich. Mit Balletttänzern, Sängern und Schauspielern waren bald 60 Künstler unter Vertrag. Geprobt haben wir im Musikverein und sogar in der Staatsoper.
Am 2. August war Generalprobe. Gefehlt hat nur Peter Kafka. Der sitzt seither in Untersuchungshaft, heißt in Wahrheit Peter W. und steht wegen einschlägiger Delikte seit langem auf den Fahndungslisten. Schlagartig waren alle arbeitslos. Keiner hat sein Honorar bekommen. Manche konnten ihre Miete nicht mehr bezahlen. Eine Sammelklage gegen einen mittellosen Hochstapler – das ist alles, was uns Künstlern blieb.
Das Leben in Wien ist jetzt härter als zuvor. Ich arbeite als Konzertmeisterin für die Donau Philharmonie Wien und für den Josef Haydn Konzertverein, als Geigerin, als Lehrerin, als Kellnerin. Ich habe Geld verloren, aber vor allem meinen guten Ruf: Nach alledem kann ich doch keinem Musiker mehr einen Job anbieten.