Offiziell bin ich 1951 geboren. Inoffiziell schon 1945. Dazwischen liegen meine sechs verlorenen Jahre. Eine Zeit, die in keinem Dokument der Welt aufscheint, eine Zeit, die nicht mehr zählt.
Wer in Togo zur Schule geht, muss Eltern haben, die ein Schuljahr bezahlen können. Aus diesem Grund ist es ganz normal, dass Kinder erst mit neun oder zehn Jahren zum ersten Mal in die Schule kommen. Weil das Bildungssystem aber vorsieht, dass sie mit 15 Jahren ihren Abschluß machen, ändert man dann nötigenfalls das Geburtsdatum.
Auch ich wurde erst mit elf eingeschult. Dann kam eine weitere Komplikation hinzu. Ich war mit meiner Mutter per Schiff an die Elfenbeinküste gereist, wo ich drei Jahre lang eine Missionsschule besuchen konnte. Dieses Kind hat Zukunft, meinte der Priester und hätte mich gerne nach Europa geschickt. Aber meine Mutter nahm mich wieder mit zurück nach Lomé. Zwar konnte ich dort weiter zur Schule gehen. Beim Schulabschluß aber stellte sich dort heraus, dass meine Geburtsurkunde verloren war. Und weil die für das Erteilen einer Matrikelnummer unabdingbar ist, musste eine neue her. Bei dieser Gelegenheit sind meine ersten sechs Lebensjahre verloren gegangen.
Später besuchte ich ein Priesterseminar. Wie gerne wäre ich Priester geworden. Aber meine Mutter wollte, dass ich eine Familie gründe. Nach einer langen Krankheit musste ich das Seminar verlassen und mich mit allen möglichen Arbeiten durchbringen.
Eine eigene Familie habe ich bis heute nicht, aber 20 Geschwister. Die meisten von ihnen leben noch und haben längst Kinder und Kindeskinder. Mein Vater ist lange schon tot. Meine Mutter wurde vor neun Jahren auf offener Straße vom Militär erschossen, auf dem Heimweg vom Markt. Ursprünglich waren die Kponvis eine wohlhabende Familie, die Wälder und Ländereien besaß und sogar königliche Wurzeln hat. Mein jüngerer Bruder Kponvi Kodzo Michel ist heute König von Lomé-Aflau, einem großen Bezirk der togolesischen Hauptstadt. Seit 40 Jahren ist Togo eine Diktatur, aber vor dieser Zeit war das Amt des Königs von großer politischer Bedeutung.
Seit 20 Jahren lehre ich nun katholische Religion an der „Dr. Erwin-Schmuttermeier-Schule“ in der Hinterbrühl, in der körperlich und geistig behinderte junge Menschen unterrichtet werden. Da bin ich doppelt gefordert, als Lehrer und als Afrikaner. Ich will den Kindern etwas von der vielschichtigen afrikanischen Kultur vermitteln. Dass ich dabei nicht immer auf offene Ohren stoße, kann man sich leicht vorstellen. Manche Kinder sind eben begeisterungsfähig, andere nicht. Das ändert aber nichts daran, dass ich für mein Leben gerne Lehrer bin.