Meine Heimat gibt es nicht mehr. Im 17. Jahrhundert hatten sich Menschen aus Holland in Central New Jersey angesiedelt. Dann kamen Engländer und später die Iren, die das amerikanische Kanalsystem bauten. Schließlich zog es Katholiken, Protestanten und Juden aus Ungarn in diese Gegend. Die fanden Arbeit in den Fabriken. Meine Großeltern, arme Menschen aus Debrezen, waren ein typischer Fall. Sie kamen mit nichts. Und am Ende ihres Lebens hatten sie zwei studierte Kinder, ein Haus und ein Aktienportfolio. Die Familie war in die Mittelschicht aufgestiegen. In meiner Kindheit war der Alltag von solchen Einwanderern geprägt. Es gab eine Magyar Savings Bank, ungarische Tierärzte und viele Polen, Griechen und Italiener. Ihr Geld verdienten diese Menschen auf jenen Industriearbeitsplätzen, die inzwischen in China sind. Heute leben vor allem Latinos in der Gegend, die meine Heimat war, Menschen aus Kuba, Puerto Rico, Mexiko und aus der Dominikanischen Republik. Um in New Brunswick zu überleben, braucht man kein Englisch mehr, Spanisch reicht.
Als junger Mann wollte ich weg. Ich ging nach Chicago und wurde Buchhalter. Ich zog weiter nach Kalifornien, arbeitete für ein Unternehmen, das Hotelprojekte entwickelte, und wohnte in Venice Beach direkt am Strand. Das war das Paradies auf Erden. Später, als diese Firma auch in New York Projekte realisierte, ging ich dorthin. Und so lernte ich 1989 meine Frau kennen. Helga, eine junge Frau Magister aus Österreich, war mit einem Fulbright-Stipendium in die Stadt gekommen und auf der Suche nach einer Unterkunft in eines unserer günstigen Single Room Occupancy Hotels vermittelt worden. Dass dieser Laden eines Tages in einem Bericht der New York Times als Crack House enttarnt werden sollte, konnten wir damals nicht wissen.
Seit 20 Jahren verdiene ich mein Leben als Übersetzer, großteils im Universum der Linzer Ars Electronica. Dort hat man erkannt, dass ich Sprachgefühl, Fleiß und einen guten Mannschaftsgeist mitbringe und betraut mich mit hochinteressanten Aufgaben. Die Arbeit ist einsam: ich sitze mit meinem Arsch auf einem Stuhl vor dem Bildschirm, that’s it. Einfache Dinge kann heute der Computer übersetzen, Betriebsanleitungen etwa. Was ich mache, kann der Computer aber nicht: ich formuliere mit Tiefe, gehe mit Phantasie ans Werk und gebe den Texten Seele. Ich beherrsche die Werbesprache und die akademische Sprache ebenso wie die Sprache der jungen Online-Millennials. Natürlich hilft der Computer. Früher musste ich Wörterbücher schleppen, heute ist der Bildschirm voll mit Icons, die mich blitzartig auch auf hochspezialisierten Technikslang zugreifen lassen. Für Begriffe, die in einem Text häufig vorkommen, programmiere ich die Autokorrektur im Word: ge plus Leertaste = genetic engineering. In diesem Setup bin ich sehr schnell.
Um fit zu bleiben, löse ich jeden Tag ein Kreuzworträtsel. Besonders angetan haben es mir die ZEIT-Rätsel. Die mache ich alle, jede Woche am Donnerstag „Um die Ecke gedacht“ und am liebsten die Preisrätsel. Leider habe ich noch nie etwas gewonnen, nicht mal ein Rätselheft. Ansonsten kann ich nicht klagen. Wenn ich mein Dasein mit dem von Studienkollegen vergleiche, die als Juristen tätig waren bis sie der Konzern in die Wüste geschickt hat, bin ich besonders zufrieden. Ich genieße mein Leben und meine Arbeit. Ich bin happy.