Seit zehn Jahren lebe ich zumeist in geographischen und politischen Randlagen und immer in dauerhaft eingerichteten Provisorien. An manchen Orten bin ich für ein paar Monate, an anderen dann wieder bis zu vier Jahre lang. So habe ich Florenz und Moskau kennengelernt, später Prishtina und Mitrovica im Kosovo. Dann bin ich weiter gezogen nach Rom, Skopje, Tomsk, Kemerovo, Novosibirsk und Barnaul in Westsibirien. Anschließend habe ich in Belgrad, Brüssel und Phnom Penh gelebt. Und zuletzt im Kaukasus, in Tiflis (Georgien), in Sukhumi (Abchasien) und nun in Baku.
Hier leite ich die Abteilung für Demokratisierung im OSZE-Büro. Wir wollen die bereits 15 Jahre alte aserbaidschanische Republik in Sachen Demokratisierung unterstützen. Unsere Themen sind Medienfreiheit, die Unterstützung der Zivilgesellschaft, Gleichbehandlung, Menschenhandel, Zwangsarbeit und Wahlen. Meist habe ich es dabei mit Herren mittleren Alters zu tun, mit Beamten, Richtern und Staatsanwälten, mit Bürgermeistern, Menschenrechtlern und Diplomaten.
Mein Chef ist Spanier. Meine Kollegen kommen aus Großbritannien, Deutschland, Aserbeidschan, Russland und Norwegen. Meine Arbeitssprachen sind Englisch, Deutsch und Russisch, nahezu simultan. Aserbeidschaner begrüße ich selbstverständlich in der Landessprache. Ich bin stolz darauf, dass ich in mehreren Sprachen über den Status der Medienfreiheit in Aserbaidschan, die Änderungen in der russischen NGO-Gesetzgebung oder über römischen Barock sprechen kann.
Aserbaidschan erinnert ein bisschen an Süditalien, an jene kaputten Landstriche, in denen verlassene Industriegebäuden dominieren. Die Halbinsel Abscheron ist einer der dreckigsten und am meisten verseuchten Plätze dieser Erde. Eine typisch aserbaidschanische Erfahrung: Nichts passiert. Dieses Land ist primitiv und verkommen, zugleich aber schlicht und schön. Orientalische Lebensfreude mischt sich übergangslos mit bodenloser Gleichgültigkeit. Die einstigen Prunkbauten der Ölbarone verfallen völlig unbeachtet. Die Straßenmärkte versinken in einer Art Urschlamm. Verkauft wird dort nicht, um ein Geschäft zu machen, sondern um zu überleben.
Ich wohne in der Innenstadt von Baku, in einem Haus, das einer Iranerin gehört, die in Paris Mode macht und deren folkloristisch-moderne Mäntel und Blusen ich hier trage. Von meinem Balkon sehe ich das Kaspische Meer und den Shirvan Shah Palast. Laut ist es in meinem Wohnviertel nur, wenn der Störverkäufer am Sonntag mit seiner Frau die Runden macht. Er verkauft frischen Fisch, sie Beeren oder Eingemachtes.
Bei aller Weltoffenheit und Neugier muß ich gestehen, dass mir bei mancher Reise der missmutige Urlauber Travnicek von Helmut Qualtinger einfällt: „Wenn mich das Reisebüro nicht vermittelt hätt!“