Heute vormittag wurde ich als SPÖ-Bezirksrat für meinen Heimatbezirk Wien-Neubau angelobt. Ich werde mich um Kultur und Soziales kümmern. Dass ich mit diesem Amt betraut wurde, macht mir doppelt Freude. Zum einen empfinde ich es als eine Art Belohnung, als eine Bestätigung meines Engagements im Rahmen der Volkshilfe Neubau, wo ich im Vorstand tätig bin. Seit Jahren schon organisieren wir dort Gratisnachhilfe für Kinder mit Migrationshintergrund. Damit habe ich nun wohl den Gipfel meiner politischen Karriere in der SPÖ erreicht. Der zweite Grund: Schon mein Vater, Dieter Schrage, war einst als Bezirksrat in Neubau tätig, allerdings für die Grünen.
Geboren wurde ich in Bochum, wo ich meine ersten Jahre gelebt habe. Als mein Vater das Arbeiterabitur abgelegt hatte, wollte er Theaterwissenschaft studieren. Dafür boten sich nur zwei Städte an: Wien. Oder Berlin, was für meine Mutter wegen der Mauer keine Option war. Und so pendelten wir ein paar Jahre zwischen Bochum und Wien. Erst als ich schulfplichtig war, übersiedelten wir endgültig. Österreicher wurde ich ein paar Jahre später – wohl auch, weil Bruno Kreisky 1971 die Schülerfreifahrt eingeführt hatte.
Von Beruf bin ich ursprünglich Portraitfotograf. Mein Leben verdiene ich seit Jahren allerdings als Sportfotograf. Ich bin für den Wiener Basketball-Verein BC Vienna und zudem bei diversen Kampfsport-Events tätig. Das hat sich nach und nach so ergeben. Das Boxen faszinierte mich schon im Bubenalter. Als Schüler stand ich bereitwillig nachts um zwei Uhr auf, um Kämpfe mit Muhammad Ali zu sehen. Auch wenn ich um acht in der Schule sein musste. Heute ist aus dem Boxen MMA geworden, Mixed Martial Arts. Aber der Sport begeistert mich noch wie eh und je. In der Sportfotografie sehe ich die Königsdisziplin der Fotografie: Man entscheidet blitzschnell zwischen dem Moment und der Komposition, man ist extrem aufmerksam und immer Teil des Geschehens. Man antizipiert, wie das heute heisst. Meine Bilder sind dann eine Art Applaus für die Sportler, die ich alle sehr bewundere. Wenn ich nach so einem intensiven Wochenende vom Arbeiten zurückkomme, sind meine Kameras häufig stark verschmutzt. Alles ist voll Blut, Schweiß und Kampferöl. Da komme ich mir manchmal vor wie ein Kriegsfotograf in Vietnam.
Bis zu meinem 40. Lebensjahr war ich die meiste Zeit im Nachtgeschäft tätig. Erst im Poker als Berufsspieler, später im Management diverser Unternehmungen. Ich habe gutes Geld verdient, musste aber irgendwann einsehen, dass ich nicht hart genug bin für diese Wirklichkeit. Mir ist zu viel passiert. Mal hatte ich eine Magnum vor dem Bauch, dann hat man mich als Geisel genommen. Ich wurde bedroht und angegriffen.
Seit Monaten bin ich nun als ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer tätig. Im August habe ich am Westbahnhof begonnen, Flüchtlinge zu fotografieren. Schnell habe ich verstanden, dass diese Menschen meine Hilfe brauchen könnten. Man merkt dann, dass all dem, was sich da jetzt bei uns tut, eine einfache Rechnung zugrunde liegt: Tausend Menschen sind tausend Mal ein Mensch. Diese Erkenntnis hält mich auf Trab. Seit einiger Zeit bin ich in der vom Roten Kreuz betriebenen Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Kurier-Haus engagiert. Weil es immer noch zu wenig Wohn- und Schlafplätze gibt, habe ich eine Art couch-surfing-Projekt aufgezogen. Wenn Mütter mit ihren Kindern keinen Platz mehr bekommen, telefoniere ich mich durch die Liste meiner Freunde und Bekannten. Dabei kann ich richtig lästig sein, so dass ich im Ergebnis immer bekomme, was ich will – sichere Wohn- und Schlafplätze für ein paar Wochen.
Ich hatte in meinem Leben zwar viele falsche Freunde, mit meinen Frauen hatte ich aber immer Glück. Schon in meiner ersten Ehe habe ich irgendwann eine Bosnierin mit ihrem Baby mitgebracht, die dann lange bei uns lebte. Vor ein paar Wochen brachte ich eine 25jährige Frau aus Syrien mit ihrem 18 Monate alten Sohn nachhause. Um diese beiden kümmert sich nun meine zweite Frau, während ich im Kurierhaus tagein, tagaus das Leben auf mich einprasseln lasse.