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Montag, 29. Mai 2017

Blut, Schweiß und Kampferöl

Götz Schrage
Der Fotograf Götz Schrage, 55, hat im Nachtgeschäft Lebenserfahrung gesammelt und engagiert sich als Flüchtlingshelfer.

Heu­te vor­mit­tag wur­de ich als SPÖ-Bezirks­rat für mei­nen Hei­mat­be­zirk Wien-Neu­bau ange­lobt. Ich wer­de mich um Kul­tur und Sozia­les küm­mern. Dass ich mit die­sem Amt betraut wur­de, macht mir dop­pelt Freu­de. Zum einen emp­fin­de ich es als eine Art Beloh­nung, als eine Bestä­ti­gung mei­nes Enga­ge­ments im Rah­men der Volks­hil­fe Neu­bau, wo ich im Vor­stand tätig bin. Seit Jah­ren schon orga­ni­sie­ren wir dort Gra­tis­nach­hil­fe für Kin­der mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund. Damit habe ich nun wohl den Gip­fel mei­ner poli­ti­schen Kar­rie­re in der SPÖ erreicht. Der zwei­te Grund: Schon mein Vater, Die­ter Schra­ge, war einst als Bezirks­rat in Neu­bau tätig, aller­dings für die Grü­nen.
Gebo­ren wur­de ich in Bochum, wo ich mei­ne ers­ten Jah­re gelebt habe. Als mein Vater das Arbei­terab­i­tur abge­legt hat­te, woll­te er Thea­ter­wis­sen­schaft stu­die­ren. Dafür boten sich nur zwei Städ­te an: Wien. Oder Ber­lin, was für mei­ne Mut­ter wegen der Mau­er kei­ne Opti­on war. Und so pen­del­ten wir ein paar Jah­re zwi­schen Bochum und Wien. Erst als ich schulfplich­tig war, über­sie­del­ten wir end­gül­tig. Öster­rei­cher wur­de ich ein paar Jah­re spä­ter – wohl auch, weil Bru­no Krei­sky 1971 die Schü­ler­frei­fahrt ein­ge­führt hat­te.
Von Beruf bin ich ursprüng­lich Por­trait­fo­to­graf. Mein Leben ver­die­ne ich seit Jah­ren aller­dings als Sport­fo­to­graf. Ich bin für den Wie­ner Bas­ket­ball-Ver­ein BC Vien­na und zudem bei diver­sen Kampf­sport-Events tätig. Das hat sich nach und nach so erge­ben. Das Boxen fas­zi­nier­te mich schon im Buben­al­ter. Als Schü­ler stand ich bereit­wil­lig nachts um zwei Uhr auf, um Kämp­fe mit Muham­mad Ali zu sehen. Auch wenn ich um acht in der Schu­le sein muss­te. Heu­te ist aus dem Boxen MMA gewor­den, Mixed Mar­ti­al Arts. Aber der Sport begeis­tert mich noch wie eh und je. In der Sport­fo­to­gra­fie sehe ich die Königs­dis­zi­plin der Foto­gra­fie: Man ent­schei­det blitz­schnell zwi­schen dem Moment und der Kom­po­si­ti­on, man ist extrem auf­merk­sam und immer Teil des Gesche­hens. Man anti­zi­piert, wie das heu­te heisst. Mei­ne Bil­der sind dann eine Art Applaus für die Sport­ler, die ich alle sehr bewun­de­re. Wenn ich nach so einem inten­si­ven Wochen­en­de vom Arbei­ten zurück­kom­me, sind mei­ne Kame­ras häu­fig stark ver­schmutzt. Alles ist voll Blut, Schweiß und Kamp­fer­öl. Da kom­me ich mir manch­mal vor wie ein Kriegs­fo­to­graf in Viet­nam.
Bis zu mei­nem 40. Lebens­jahr war ich die meis­te Zeit im Nacht­ge­schäft tätig. Erst im Poker als Berufs­spie­ler, spä­ter im Manage­ment diver­ser Unter­neh­mun­gen. Ich habe gutes Geld ver­dient, muss­te aber irgend­wann ein­se­hen, dass ich nicht hart genug bin für die­se Wirk­lich­keit. Mir ist zu viel pas­siert. Mal hat­te ich eine Magnum vor dem Bauch, dann hat man mich als Gei­sel genom­men. Ich wur­de bedroht und ange­grif­fen.
Seit Mona­ten bin ich nun als ehren­amt­li­cher Flücht­lings­hel­fer tätig. Im August habe ich am West­bahn­hof begon­nen, Flücht­lin­ge zu foto­gra­fie­ren. Schnell habe ich ver­stan­den, dass die­se Men­schen mei­ne Hil­fe brau­chen könn­ten. Man merkt dann, dass all dem, was sich da jetzt bei uns tut, eine ein­fa­che Rech­nung zugrun­de liegt: Tau­send Men­schen sind tau­send Mal ein Mensch. Die­se Erkennt­nis hält mich auf Trab. Seit eini­ger Zeit bin ich in der vom Roten Kreuz betrie­be­nen Flücht­lings­un­ter­kunft im ehe­ma­li­gen Kurier-Haus enga­giert. Weil es immer noch zu wenig Wohn- und Schlaf­plät­ze gibt, habe ich eine Art couch-sur­fing-Pro­jekt auf­ge­zo­gen. Wenn Müt­ter mit ihren Kin­dern kei­nen Platz mehr bekom­men, tele­fo­nie­re ich mich durch die Lis­te mei­ner Freun­de und Bekann­ten. Dabei kann ich rich­tig läs­tig sein, so dass ich im Ergeb­nis immer bekom­me, was ich will – siche­re Wohn- und Schlaf­plät­ze für ein paar Wochen.
Ich hat­te in mei­nem Leben zwar vie­le fal­sche Freun­de, mit mei­nen Frau­en hat­te ich aber immer Glück. Schon in mei­ner ers­ten Ehe habe ich irgend­wann eine Bos­nie­rin mit ihrem Baby mit­ge­bracht, die dann lan­ge bei uns leb­te. Vor ein paar Wochen brach­te ich eine 25jährige Frau aus Syri­en mit ihrem 18 Mona­te alten Sohn nach­hau­se. Um die­se bei­den küm­mert sich nun mei­ne zwei­te Frau, wäh­rend ich im Kurier­haus tag­ein, tag­aus das Leben auf mich ein­pras­seln lasse.

Auf­ge­zeich­net von ES; ver­öf­fent­licht in: Die Zeit, Nr. 52|2015
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