Eine Einleitung von Ernst Schmiederer
Im August hat sich Nawid von uns verabschiedet. Hier, in Österreich, konnte er nicht bleiben, weil ihn unser Rechtsstaat nach Afghanistan schicken wollte. Dort wollte er nicht hin, weil er – aus vielen guten Gründen – um sein Leben fürchtet. So hat er sich nach mehr als 1.000 schönen und schweren Tagen in Österreich verzweifelt und verängstigt wieder auf den Weg gemacht. Und wir, seine Freundinnen und Freunde in Österreich, haben das Nachsehen. Wir haben versagt. Es ist uns nicht gelungen, dem jungen Nawid ein würdiges Leben in der Sicherheit unseres Heimatlandes zu ermöglichen.
Das tut, erstens, weh; Nawid ist uns über die Jahre sehr ans Herz gewachsen. Es ist, zweitens, ein wirklich beschämendes Gefühl, weil sich einmal mehr zeigt, dass die dünne Decke unserer Zivilisation noch dünner ist als befürchtet. Und obendrein macht es natürlich wütend. Dass Nawid – wie in diesen Wochen und Monaten so viele andere auch – unser Land verlassen muss, ist keine Naturkatastrophe, sondern das Produkt von zynischer Politik, systemischer Feigheit und schlichtem Mangel an Empathie.
Damit will ich mich nicht abfinden! Ich habe in den vergangenen Jahren auch im Rahmen meiner Arbeit, beim Sammeln von Lebensgeschichten, von Geschichten der Gegenwart, viele neue Menschen kennengelernt – Frauen, Männer und Kinder, die mein Leben ebenso bereichern wie viele, die ich schon lange kenne. Diese Menschen (und ihre Geschichten) lassen mich mit aller gebotenen Vorsicht zu dem Schluss kommen, dass wir miteinander stark genug sind, um Schritt für Schritt an unser Ziel – ein würdevolles Leben für alle – zu kommen.
In einem kleinen ersten Schritt sollten wir dafür sorgen, dass zumindest jene Menschen, die seit über drei Jahren als Asylwerbende bei uns sind, ein bedingungsloses Aufenthaltsrecht in diesem Land – ein #hierbleiberecht – bekommen.
Tag für Tag werden Menschen in Schubhaft gesperrt, die aus ihrer Heimat vertrieben worden sind und deshalb versucht haben, in Österreich ein Leben in Würde zu führen. Immer wieder werden solche Menschen abgeschoben – übrigens auch nach Afghanistan, obwohl Krieg und Gewalt dort bekanntermaßen so alltäglich sind wie das Jammern der Mieselsüchtigen und Übelgelaunten hierzulande. Und immer wieder flüchten Menschen weiter in andere Länder, zuletzt vor allem nach Frankreich oder Italien, weil unser Land nicht bereit ist, sie aufzunehmen, sie zu beschützen. Weil unser Land die Vertriebenen weiter vertreibt. Nawid Naderi ist einer dieser immer weiter Vertriebenen.
Als Afghane ist er vor 22 Jahren mit dem Kainsmal … (Aus: „Nawid ist weg. Ein Buch für einen umherirrenden Freund“, herausgegeben von Ernst Schmiederer)