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Mittwoch, 19. April 2023

Eine große Reise ist zu Ende

Rafael und ich sind uns irgendwann über den Weg gelaufen, haben uns gut verstanden und – leider zu selten – zusammen gearbeitet, nachgedacht, gelacht. Einmal habe ich ihn für meine ZEIT-Kolumne interviewt und dann dort portraitiert. Gestern ist Rafael von uns gegangen. 
Zuletzt geändert am 19. April 2023
Porträt Rafael Donadío
Alfonso Rafael Gutiérrez Donadío 12.11.1959 † 18.04.2023

„Ich muss weit hin­ten anfan­gen. Mein Urgroß­va­ter, Nico­la Don­na­dío, Gold­schmied und Kla­vier­stim­mer von Beruf, kam 1880 aus sei­ner ita­lie­ni­schen Hei­mat nach Mexi­ko. Er hat­te sich durch­ge­schla­gen bis in ein armes Dorf namens Sei­ba­playa, im heu­ti­gen Bun­des­staat Cam­pe­che gele­gen. Was ihn da hin­ge­zo­gen hat, wis­sen wir nicht. Wir wis­sen aber, dass er am Strand die Fischer beob­ach­te­te. Dabei stach ihm die ein­zi­ge Frau in der Grup­pe ins Auge: ein jun­ges Mäd­chen namens Car­men. Er such­te ihren Vater und erklär­te dem, dass er sei­ne Toch­ter hei­ra­ten wol­le, erst aber noch für ein Jahr nach Ita­li­en zurück müss­te. Was nie­mand für mög­lich gehal­ten hat­te, geschah: nach einem Jahr tauch­te Nico­la wie­der auf, mit Geschen­ken und Klei­dern für Car­men. Sie hei­ra­te­ten, zogen in die Haupt­stadt und hat­ten fünf Kin­der, die jeweils nach weni­gen Lebens­mo­na­ten ver­star­ben. Eines Tages erfuhr Nico­la, dass sei­ne Mut­ter tod­krank war. Er woll­te bei ihr sein, sie womög­lich selbst begra­ben und fuhr ein letz­tes Mal nach Ita­li­en – mit dem Ver­spre­chen, so bald als mög­lich wie­der zu kom­men. Doch er kam nie wieder.

Was er nicht wuss­te: Car­men war wie­der von ihm schwan­ger. Dies­mal gebar sie einen Sohn, Ramòn, der einer der bekann­tes­ten Klas­sik­gi­tar­ris­ten Mexi­kos wer­den soll­te. Am Höhe­punkt sei­ner Kar­rie­re lern­te Ramòn eini­ge Ita­lie­ner ken­nen. Im Gespräch stell­te sich her­aus, dass die mit sei­nem Vater Nico­la bekannt gewe­sen waren. Von ihnen erfuhr er Fol­gen­des: sein Vater hat­te sich nach dem Begräb­nis auf den Weg zurück zu sei­ner Frau nach Mexi­ko gemacht, war unter­wegs jedoch aus­ge­raubt und ermor­det wor­den. Als Ramon die Geschich­te hör­te, war sei­ne Mut­ter bereits tot. Sie hat­te ihr Leben ein­sam ver­bracht, ver­bit­tert, über­zeugt, ihr Mann hät­te sie verlassen.

Für mich ist glas­klar, dass ich ohne die­se Rei­se heu­te nicht hier wäre. In der Fami­lie mei­ner Mut­ter waren alle Künst­ler: ihr Vater Ramòn war Gitar­rist, die Mut­ter Celis­tin, der Bru­der Gitar­rist, eine Schwes­ter Schau­spie­le­rin, mei­ne Mut­ter Sän­ge­rin und Kla­vier­leh­re­rin. Sie hat mich ab mei­nem fünf­ten Jahr unter­rich­tet und auf eine Kar­rie­re vor­be­rei­tet. So kam ich an das Natio­nal­kon­ser­va­to­ri­um und mit Sti­pen­di­en in die USA, nach Mos­kau und nach Wien, an das Kon­ser­va­to­ri­um der Stadt und an die Staats­oper und wur­de Direk­tor am Mexi­ka­ni­schen Kul­tur­in­sti­tut. Heu­te bin ich als Kul­tur­ma­na­ger selbst­stän­dig und orga­ni­sie­re Events mit spa­ni­schen, por­tu­gie­si­schen und latein­ame­ri­ka­ni­schen Bezü­gen. Mein jüngs­ter Auf­trag: ich mache Pro­mo­ti­on für Moc­te­zu­ma Foods, die ein­zi­ge Fabrik in Öster­reich, die Tor­til­las her­stellt, die­se typi­schen mexi­ka­ni­schen Mais­fla­den. Was immer noch kom­men mag, eines weiß ich heu­te mit Sicher­heit: das gan­ze Leben ist eine gro­ße Reise.

Auf­ge­zeich­net von Ernst Schmiederer“ 

Alfon­so Rafa­el Gut­iérrez Dona­dio, 12.11.1959 – 18.04.2023

erschie­nen in: DIE ZEIT Nr. 31 vom 24. Juli 2014
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