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Kompromiss und Werte

Ruth Wodak aus Wien lebt in Lancaster.

Mein Vater war Diplomat, daher verbrachte ich schon meine Kindheit in verschiedenen Ländern. Sinnvoll erinnern kann mich an Belgrad, wo wir bis zu meinem neunten Lebensjahr waren. Die vierte Volksschulklasse in Wien hielt zahlreiche Kulturschocks für mich bereit. Es wurde gleich zu Unterrichtsbeginn gebetet, das kannte ich nicht. Anstatt mit Bleistift musste ich mit Tinte schreiben. Nachdem ich die Lehrerin selbstverständlich geduzt hatte, wurde meine Mutter in die Schule zitiert – ich sei ein unhöfliches Kind, lautete der Vorwurf. Erstaunt und auch geschockt war ich über das rege Interesse an Herkunft und Religion. Ich machte erste Bekanntschaft mit antisemitischen Vorurteilen, die mir bis dahin erspart geblieben waren. Heute weiß ich, dass mich der frühe Umgang mit der Fremde gut auf mein Leben und das Unterwegssein vorbereitet hat. Ich habe in jungen Jahren gelernt, mich in eine neue Umgebung einzufinden und dabei das Eigene zu erhalten. Als Gastprofessorin lebte ich später in den USA, in Schweden und in Ungarn. Seit fast zehn Jahren bin ich in England, wo ich den Lehrstuhl für Discourse Studies an der Lancaster University innehabe.

Ganz aktuell ist mein jüngstes Buch, das in diesen Tagen bei Bloomsbury erschienen ist: „Right-Wing Populism in Europe“, herausgegeben gemeinsam mit Majid KhosraviNik und Brigitte Mral. 2008 hatte ich die große Ehre, ein Semester lang den vom schwedischen Parlament gestifteten „Kerstin Hesselgren Lehrstuhl“ an der Universität von Örebro zu übernehmen. Dort konnten wir jenen hochkarätig besetzten Workshop organisieren, aus dem nun diese Publikation entstanden ist. Politik-, Medien- und Diskurswissenschaftler, Soziologen und Historiker analysieren darin die vielen unterschiedlichen rechtspopulistischen Bewegungen in Europa. Die FPÖ sticht im Vergleich schon durch ihre große Gefolgschaft heraus. Abgesehen von der Front National in Frankreich gibt es europaweit keine vergleichbar starke Partei. In Frankreich ist der Umgang mit dieser Partei eindeutig geregelt: auf nationaler Ebene hält man sie sich durch einen cordon sanitaire vom Leib, man koaliert nicht mit ihr. Das ist insofern angemessen, als es in einer Koalition darum geht, Kompromisse zu finden. Wenn eine Partei prinzipielle Werte in Frage stellt, würde ein Kompromiss für die andere Partei bedeuten, dass sie die eigene Programmatik in einem Maße anpassen muss, das der Selbstaufgabe gleichkommt. Ich wüsste daher nicht, warum etwa eine sozialdemokratische Partei bereit sein sollte, mit der FPÖ zu koalieren.

Vor wenigen Wochen durfte ich in Linz die Festrede zur Eröffnung des Brucknerfestes halten. Ich setzte mich mit der Frage auseinander, ob die EU den Friedensnobelpreis zu Recht erhalten hat. Was mich sehr gefreut hat, war der Zwischenapplaus an einigen wichtigen Stellen. So war das Publikum offenkundig mit mir einer Meinung, dass es Österreich gut anstünde, deutlich mehr als 500 Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen.

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